Klug inszenierter Zwiespalt zwischen Prokrastination und den aufgelegten Pflichten, wunderbar in die literarische Welt eingepackt.
Annabel ist 21 Jahre jung, studiert in Oxford Englische Literaturwissenschaften, und muss einen Essay über Shakespeares Sonette zu schreiben.
Es ist ein Sonntag im
Januar des Jahres 2009, bis zum nächsten Morgen sollte ihre Arbeit beendet sein. Die Zeit drückt,…mehrKlug inszenierter Zwiespalt zwischen Prokrastination und den aufgelegten Pflichten, wunderbar in die literarische Welt eingepackt.
Annabel ist 21 Jahre jung, studiert in Oxford Englische Literaturwissenschaften, und muss einen Essay über Shakespeares Sonette zu schreiben.
Es ist ein Sonntag im Januar des Jahres 2009, bis zum nächsten Morgen sollte ihre Arbeit beendet sein. Die Zeit drückt, rückt vor. Aber noch ist ja etwas vom Tag übrig. Prokrastination in Bestform. So vieles gäbe es zu tun (oder nicht), an so viele Dinge zu denken, wie zum Beispiel an ihren Freund, einen Arzt, 15 Jahre älter als sie. Und was sie das nächste Wochenende wohl machen sollen.
Der ganze Roman spielt an diesem einen Tag. Wir begleiten Annabel bei all ihren Vorrichtungen des Tages, sei es das Aufbrühen von Tee, oder auch die Vorgänge der körperlichen Ausscheidungen. Ich habe noch nie erlebt, wie poetisch das beschrieben werden kann.
Die Protagonistin schleppt sich durch den kalten Wintertag, geht spazieren, trägt ihre Aufgabe vor sich her. Sie nimmt uns mit in ihren Gedanken rund um die Welt von Sonette im Allgemeinen und Speziellen, huldigt natürlich das Genie von Shakespeare. Und, wie darf es auch anders sein, versucht sie, Parallelen aus der Welt der Sonette zu ihrem eigenen Leben, insbesondere Liebesleben, zu suchen. Oftmals mit dabei: ihre Fernbeziehung, ihr Lover, die Gedanken an den Sex mit ihm, die aufkeimende Lust gepaart mit dem Drang, diese selbst zu stillen.
Nur am Rande streifen ein paar Kommilitoninnen ihren Tag, zeugen in doppelter Weise von der Einsamkeit der Gedanken.
Der Roman wird zu einem bis ins kleinste Detail beschriebenen, reflektierenden Mix aus der gestellten Aufgabe und den Ablenkungen des Tages. Sie spielt in ihrem Kopf so oft es geht fiktive Szenen zwischen zwei Männern durch. Dem GELEHRTEN und dem VERFÜHRER. Annäherungsversuche, Abweisungen. Werden sie zusammen das Unausweichliche tun? Oder nicht? Scheu? Scham? Vernunft? Laisser-faire? Die Gedankenspiele sind eine wunderbare Metapher, die die Autorin geschickt einbaut, um den inneren Zwist von Annabel darzustellen. Den Verlockungen des Nichts-Tuns nachgehen oder doch Vernunft annehmen.
Wer jetzt auch noch an Virginia Woolf und ihrem Mr. Dalloway denkt, dessen Geschichte auch nur an einem Tag stattfindet und von Gedankenspielen durchtränkt ist, liegt richtig. Auch Woolfs Werk spielt im Roman neben der tragenden Hommage an Shakespeare eine Rolle.
So komplex das sich nun alles anhören mag, so schnell verschlingt man diesen Roman. Die Sprache ist wunderbar gehalten, semi-poetisch, in einem rasanten Erzählstil, der kaum Zeit zum Atmen lässt. Rosalind Browns Sprache entwickelt einen besonderen Sog. So schnell kann man gar nicht umblättern, als das man wissen möchte, wie sich der Tag von Annabel entwickelt. Und ob sie es dann noch schafft, den Essay zu verfassen oder nicht.
Detailreich, den Spiegel vorsetzend, denn wie oft ertappen wir uns selbst beim Müßiggang und lassen die Zeit beim süßen Nichtstun verrauschen.
Wunderbar geschrieben, ohne Tabus, herrlich übersetzt. Ein kleines literarisches Juwel! Absolute Leseempfehlung.