Manche Romane sind harter Tobak, und dieser Roman gehört dazu. Ausgangspunkt ist das Massaker von Sand Creek in Colorado, als im Spätherbst 1864 die U.S. Armee das Winterlager der Cheyenne und Arapaho überfiel und die Bewohner töteten, 2/3 davon Frauen und Kinder. Ein Junge kann sich retten und
schließt sich mit dem indigenen Deserteur Red Feather zusammen. Über sieben Generationen und 150 Jahre…mehrManche Romane sind harter Tobak, und dieser Roman gehört dazu. Ausgangspunkt ist das Massaker von Sand Creek in Colorado, als im Spätherbst 1864 die U.S. Armee das Winterlager der Cheyenne und Arapaho überfiel und die Bewohner töteten, 2/3 davon Frauen und Kinder. Ein Junge kann sich retten und schließt sich mit dem indigenen Deserteur Red Feather zusammen. Über sieben Generationen und 150 Jahre hinweg bis in die Jetzt-Zeit verfolgt nun der Autor die Geschichte der Abkömmlinge dieser beiden „Indianer“, wie der Autor sie nennt. Und weil der Autor selber dem Stamm der Cheyenne und Arapaho angehört, ist es erlaubt, das Wort zu übernehmen.
Orange verfolgt die Lebenslinien aber nicht chronologisch exakt, sondern eher in einer Zickzacklinie. So entsteht ein vielstimmiger und sprachlich abwechslungsreicher Chor, der eine unglaubliche Leidensgeschichte erzählt, wobei der Ton immer unterkühlt bleibt., so als ob selbstverständliche Fakten erzählt würden, und niemals ins Pathos wechselt.
Dennoch: der Roman ist eine einzige Anklage gegen die USA und den Umgang mit den Native Americans, der letztlich nur ein Ziel hatte: die systematische Ausrottung der indianischen Bevölkerung und ihrer Kultur. Der Leser liest von den sog. Bisonkriegen, in denen „meilenweit und mannshoch Bisonkadaver aufgeschichtet“ werden, denn „jeder tote Bison bedeutet einen Indianer weniger“. Internierungen, Zwangsarbeit, die Errichtung von Reservaten bzw. der Versuch, die Assimilierung durch die Ansiedlung in Städten voranzutreiben, der Entzug der Kinder und ihre Zwangseinweisung in die sog. Indianerinternate sind einige der Erfahrungen, die auch die folgenden Generationen traumatisieren:
„ Er hegt den Verdacht, dass sich noch etwas Schlimmeres unter seinen schlimmsten Erinnerungen an die Schule verbirgt, unter den Haarschnitten und dem Abbürsten, den Märschen, den Prügeln, dem Hunger und dem Arrest und den zahllosen Bloßstellungen, weil er Indianer blieb, während sie sich fortwährend bemühten, ihn zu bilden, zu christianisieren, zu zivilisieren.“
Darüber hinaus geht um den Landraub, der bis heute noch nicht aufgearbeitet ist und, wie es aussieht, unter Trump auch keine Beachtung finden wird. Es geht in diesem Buch also nicht nur um das Problem der Identität, der Zugehörigkeit bzw. Nichtzugehörigkeit, sondern auch darum, wie man in einem Land leben kann, das einem gestohlen wurde von Weißen, „die immer geglaubt haben, sie besäßen die Erde und dürften gebrauchen und ausnutzen, was immer ihnen in die kalten, toten Hände kommt, die dieses Land in die Versenkung geführt haben, in seinen unausweichlichen Niedergang.“
Über Generationen hinweg zeigt der Autor die Probleme, die damit einhergehen: Alkohol, Drogensucht, Arbeitslosigkeit, fehlende Bildung, Gewalt, dysfunktionale Familien und Orientierungslosigkeit und zugleich der Kampf um die Bewahrung indianischer Bräuche. Das Ende des Romans wirkt wie das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels: der junge Orvil beschließt einen Entzug. Ein etwas zu idyllischer Schluss.
Die unterschiedlichen Erzählstimmen werden nicht nur durch ähnliche Themen wie Suchtprobleme zusammengehalten, sondern auch sehr lyrisch durch das Motiv der Vögel, das im Namen Red Feather schon anklingt. Der Wunsch, frei wie ein Vogel sich über die Erde mit ihren Widrigkeiten zu erheben, verbindet alle Generationen.
4,5/5*