Victor Hugo, einer der großen Meister der französischen Literatur, soll angeblich heutzutage nicht mehr so viel gelesen werden. Dafür dürfte er vielen trotzdem bekannt sein, und sei es nur durch die sehr großzügig interpretierte Disney-Version des “Glöckners von Notre Dame” oder eine der vielen
Adaptionen von “Les Misérables”. Ich selbst habe auch nur diese beiden Romane von ihm gelesen. Dass er,…mehrVictor Hugo, einer der großen Meister der französischen Literatur, soll angeblich heutzutage nicht mehr so viel gelesen werden. Dafür dürfte er vielen trotzdem bekannt sein, und sei es nur durch die sehr großzügig interpretierte Disney-Version des “Glöckners von Notre Dame” oder eine der vielen Adaptionen von “Les Misérables”. Ich selbst habe auch nur diese beiden Romane von ihm gelesen. Dass er, besonders in seiner ersten Zeit, vor allem für seine Theaterstücke bekannt war, von denen einige die Vorlagen für Verdi-Opern geliefert haben, war mir genauso neu, wie dass er auch zeichnen konnte. Über den Privatmenschen Hugo, der viele schwere Schicksalsschläge einstecken musste, wusste ich genauso wenig, wie über den politisch engagierten Aktivisten, der auf Grund seiner Einmischungen viele Jahre im Exil verbracht hat. Grund genug, die Nominierung von Walburga Hülks Buch “Victor Hugo - Jahrhundertmensch” für den Deutschen Sachbuchpreis als Anlass zu nehmen, diese Wissenslücke endlich zu schließen.
Am Anfang hatte ich Probleme, richtig in das Buch hineinzukommen. Hülk nimmt sich viel Zeit, die politische Situation Frankreichs vor und um Hugos Geburt zu skizzieren. Erst hatte ich dafür wenig Verständnis, habe nicht verstanden, warum sie nicht endlich mit Hugos Lebensgeschichte anfängt. Aber schnell wurde mir klar: ein Victor Hugo ohne Politik existiert nicht. Hugo ist mit der Geschichte seiner Zeit verwoben, wie nur wenige Autoren, hat sich engagiert, seine Epoche vielleicht auch geprägt. Hülk hat das verstanden, und womöglich ist es auch das, was ihr Buch von anderen Hugo-Biografien abhebt.
Besonders gut gefallen hat mir die Stimmung, die Hülk schafft. Ich habe mich richtig in die Zeit Hugos zurückversetzt gefühlt, konnte sozusagen die Kutschenräder über das Kopfsteinpflaster rumpeln und die Feder über die Seiten kratzen hören. Diese atmosphärische Dichte hat das Leseerlebnis genau zu eben diesem gemacht, einem Erlebnis. Unterstützt auch von der perfekten Auswahl der Bilder, durch die wir sowohl mit historischen Persönlichkeiten, Hugos Familie, aber auch seinen Häusern und eigenen Zeichnungen vertraut gemacht werden.
Was ein Sachbuch natürlich auch immer besonders auszeichnet, ist sein Stil. Und hier findet Hülk eine sehr gute Mitte zwischen den Polen von Infotainment und trockener Wissenschaft. Ja, man merkt ihr die Akademikerin an, und für mich hätte es durchaus auch noch ein wenig lockerer geschrieben sein können. Aber ihre Schreibweise ist auf jeden Fall so leicht zugänglich, dass es bis zum Ende interessant bleibt und keine Längen oder Durststrecken auftreten. Gleichzeitig werden aber auch genug weitere Informationen geboten, Quellenangaben und Verweise, die Lesern, die sich tiefer mit Hugo auseinandersetzen wollen, genug Material dazu liefern.
Alles in allem fand ich Hülks Buch sehr bereichernd. Sie hat mir den Autor Hugo in aller seiner Vielfältig- und Widersprüchlichkeit um einiges näher gebracht. Und ein Buch geschrieben, dass man immer wieder in die Hand nehmen kann, um neue Details zu entdecken oder altes Wissen zu vertiefen. Eine Leseempfehlung für alle, die sich Victor Hugo selbst oder aber auch der französischen Literatur und Geschichte annähern möchten.