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© BÜCHERmagazin, Michael Pöppl (mpö)
Eine Berliner Liaison von Scharfsinn und Verlorenheit: Hilmar Klute erzählt das Leben des Joachim Ringelnatz.
Von Dirk von Petersdorff
Er ist ganz und gar historisch geworden: "Es lebt heute niemand mehr, der Ringelnatz gekannt hat", schreibt Hilmar Klute. Seine Biographie unternimmt es, uns mit ihm bekannt zu machen: Hans Bötticher (1883 bis 1934), der als sein Künstler-Ich Joachim Ringelnatz erfand. Er war ein schwererziehbarer Jugendlicher, Matrose, ein frommer Mensch, Kleinkünstler in Schwabing, Großkünstler in Berlin, erfolgreicher Netzwerker, eingeschworener Gegner der Nationalsozialisten, versehen mit einer höchst eigenwilligen Physiognomie (Nase, Unterlippe, Kinn).
Klute zieht uns in dieses Leben hinein. Anschaulichkeit und Witz des Journalisten von der "Süddeutschen Zeitung" helfen dabei. So berichtet er, dass der junge Hans von seinem Vater ein Brennabor-Fahrrad geschenkt bekam: "Heute würde man ihn mit streetworkerhafter Besorgnis der sozialen Gruppe gewaltbereiter Jugendlicher zurechnen. Er riskiert lebensgefährliche Sprünge, überfährt Hunde, verletzt Spaziergänger und verliert sich komplett in dieser Sportwelt." So bringt Klute ihn uns nah, erzählt von den harten Lehrjahren auf See, die ihn bis nach Honduras führen, wo er ausreißt, wieder eingefangen und an Bord gedemütigt wird. Zurück in Deutschland, erlernt er durch genaue Beobachtung die Sprache und Performance der Kabarettisten und Bühnenkünstler; das Münchener Wirtshaus "Simplicissimus" wird seine Lehranstalt.
Aber der Biograph rückt uns - und das ist genauso wichtig - Ringelnatz auch fern. Denn der mit allen Wassern gewaschene Artist, der Sentimentalität und Spott gleichermaßen gekonnt einsetzt, ist auch ein Mensch mit einem ganz eigenen und seltsamen Weltverhältnis. Der Schauspieler Paul Wegener sagte zu ihm: "Wie der heilige Antonius könntest du den Fischen predigen." Tatsächlich gibt es eine weitgehende Neigung zu den Gegenständen, die es ihm erlaubt, "eine Biene oder ein Kind so zu lieben wie eine Bohrmaschine oder wie Blumen im Wind". Diese übergroße Nähe kann in Weltfremdheit und Rätselhaftigkeit umschlagen. Davon zeugt auch sein malerisches Werk. Bilder wie "Himmelsbrücke" oder "An der harten Kante" zeigen Situationen großer Verlorenheit. So bleibt etwas schwer Fassbares. Die Gedichte charakterisiert Klute einfühlsam als "Verzauberung der Welt, die im Zauber nichts von ihrer Widersprüchlichkeit, ihrer Vertracktheit und ihrer Unzulänglichkeit einbüßt".
Eindringlich geraten auch jene Passagen der Biographie, in denen Klute die zwanziger Jahre schildert, in denen auf der einen Seite der Ruhm von Ringelnatz, der auf den Bühnen Berlins seine Gedichte inszeniert, immer weiter steigt, und gleichzeitig die ökonomische Situation des Dichters immer schwieriger wird. Die Wirtschaftskrise erfasst auch das Leben der Bohème. Ringelnatz feilscht um Gagen, muss mehrere Auftritte pro Abend absolvieren und freut sich, wenn ein Mäzen ihn in Naturalien bezahlt. Seit 1920 ist er mit Leonharda Pieper verheiratet, seiner "Muschelkalk". Die beiden verbringen ihre Abende in Künstlerkreisen, und parallel zu den anwachsenden Spannungen der Weimarer Republik werden hier irrlichternde Partys gefeiert. Die Schauspielerin Asta Nielsen ("große Barfußmädchenseele") gehört dazu, aber auch der Jagdflieger Ernst Udet ist zu Gast im Atelier von Ringelnatz: Er lässt "Papierflugzeuge steigen, und Ringelnatz wirft den Fliegern sein berühmtes Butterbrot hinterher, welches dann an der Decke kleben bleibt. Irgendwann fiel die Schnitte zu Boden, und Ringelnatz malte über den Fettfleck ein rotes, von einem Pfeil durchbohrtes Herz. Sehr anrührend schreibt Muschelkalk später: ,Unter diesem Herzen habe ich gewohnt, bis ich nach dem Tode von Ringelnatz aus der Wohnung am Sachsenplatz ausziehen musste.'"
Das Jahr 1933 schneidet in dieses Leben ein. Aufschlussreich ist der Versuch, ein Treffen von Ringelnatz und Alfred Rosenberg zu arrangieren. Es ist jene Zeit, in der noch nicht alle kulturpolitischen Weichenstellungen vorgenommen sind. Rosenberg erwartete Ringelnatz in der Berliner Bar Peltzer. Auf der Mitte des Weges durch den Raum blieb Ringelnatz stehen, sagte "Nein" und drehte sich um. Dementsprechend fällt auch sein Urteil über den bewunderten Gottfried Benn aus, dessen Annäherung an den Nationalsozialismus er "kläglich" nennt.
Der Bruch des Jahres 1933 vollzieht sich in einigen Kulturbereichen in besonderer Härte. Dazu gehört jene Verbindung von intelligentem Witz, Skepsis und Vergnügen, die im Berlin der Zwanziger zu Hause war. Ringelnatz und Tucholsky, Brecht und Weill mit ihrer "Dreigroschenoper", die Comedian Harmonists und Marlene Dietrich, deren Komponisten und Songwriter wie Friedrich Hollaender oder Fritz Löhner-Beda: dieses Feld existiert nach 1933 nicht mehr, und es hat nach dem Krieg Jahrzehnte gedauert, bis die Liaison von Scharfsinn und Gesang auch nur ansatzweise in Deutschland wieder Fuß fassen konnte. Auch darüber denkt man beim Lesen dieser ebenso klugen wie gründlichen und liebevollen Ringelnatz-Biographie nach.
Hilmar Klute: "War einmal ein Bumerang". Das Leben des Joachim Ringelnatz.
Galiani Verlag, Berlin 2015. 239 S., geb., 19,99 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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