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Selbstgespräch einer Frau: Britta Boerdners Debüt
Sie begegnet sich in einer Schaufensterscheibe als "wattiertes Paket", ist aber nur "äußerlich unförmig" - unter aller Kleidung ist ihr "schmaler Sommerkörper" verborgen. Nur eben diesen Innenkörper will Freund Gregor nicht mehr, dessentwegen sie in "die große Stadt" gekommen ist, mit der New York gemeint ist. Denn dort wollten sie, getrieben von der Sehnsucht eines vergangenen Urlaubs, zusammenleben. Er hat bereits einen Job, sie soll nachkommen. Die Probewochen werden zur Endqual, nachts liegen sie unter der Decke "wie verlorene Kinder" und finden keine Nähe. Und dieser Gregor, der "schönste Mann der Welt", den sie für sich, an eine frühere, glücklichere Episode zurückdenkend, einmal "mein kleines, dunkles Mädchen" nennt, erscheint als arbeitswütiger Pedant, als anpackender Selfmade-Optimierer, als emotionaler Positivist, der sie ermahnt, sie solle ihre Zeit besser nutzen. Sie, namenlos, ist verloren in seiner Welt, es gibt nur seine Orte, seine Kollegen und Rituale, und alle ihre Versuche, Gemeinsamkeit zu knüpfen, schlagen fehl, die Sätze scheitern im Kopf, sie spricht sie nicht aus.
Britta Boerdner, die bisher Essays und Kurzgeschichten geschrieben hat, versucht sich in ihrem Debütroman "Was verborgen bleibt" an einer weiblichen Sprache der ins Körperliche verkehrten Metaphern. Die namenlose Ich-Erzählerin ist wie im Selbstgespräch, als würde sie sich zureden, mit sich aushandeln und verwundert, teils auch heiter, die Redewendungen der anderen, der Männer, der Kollegen, der Familie bestaunen, sie ungläubig weglegen und doch von ihnen bestimmt werden. "Du läufst rum wie Falschgeld", hieß es bei ihr zu Hause immer.
Es gibt keinen schiefen Satz in der Komposition; selbst die Stellen, die eigentlich die Grenze des Kitsches überschreiten, sind aufgehoben in diesem verlorenen Sprachbächlein. So zog "mit den Fragen die Kritik" ein und "als Antwort darauf die aufgeschlagene Sonntagszeitung beim Frühstückstisch". Britta Boerdners Sprachgefühl, das sie "beim" statt "am" Frühstückstisch schreiben lässt, rettet die Sätze. Das Klischee wirkt wie ein kaputter Talisman gegen das Unvermeidliche.
Die Stilmittel laufen trotzdem ins Leere; warum heißt es nicht einfach "New York" statt "die große Stadt"? Vielleicht befürchtet die Autorin, es könnte veraltet wirken oder kitschig, aber genau das ist ihr New-York-Bild: Die Stadt soll in ihrer universellen Anonymität Chiffre sein für eine Sehnsucht, für den großen Traum von Amerika, vom Rockefeller Center, von Parks und Pizzastücken, die nach Charakteren aus der Serie "Seinfeld" benannt sind. Aber New York ist keine solche Chiffre mehr und das Scheitern ein kleines, persönliches Scheitern, das schlottert in einer überdimensionierten Sprache wie der Körper der Protagonistin in Gregors "zu großem Pullover".
HANNAH LÜHMANN
Britta Boerdner: "Was verborgen bleibt". Roman.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2012. 160 S., geb., 18,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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