Mit Wer Wir Sind setzt Lena Gorelik ihren Eltern ein Denkmal. Der Sound des autobiographischen Romans ist persönlich, intim, ernst, mitunter schwelgend, nostalgisch, wehmütig.
Wer Wir Sind verläuft nicht rein chronologisch, eher asoziativ. Es wirkt, als würde die heutige Lena - Mama,
Schriftstellerin - in ihren alten Tagebüchern, Fotos und Gegenständen wühlen, sich erinnern und diese Erinnerung…mehrMit Wer Wir Sind setzt Lena Gorelik ihren Eltern ein Denkmal. Der Sound des autobiographischen Romans ist persönlich, intim, ernst, mitunter schwelgend, nostalgisch, wehmütig.
Wer Wir Sind verläuft nicht rein chronologisch, eher asoziativ. Es wirkt, als würde die heutige Lena - Mama, Schriftstellerin - in ihren alten Tagebüchern, Fotos und Gegenständen wühlen, sich erinnern und diese Erinnerung mit ihrer heutigen versöhnlicheren Sicht anreichern.
Ihr früheres Ich hat sich alleine gefühlt, unverstanden, orientierungslos. Immer mehr hat sie sich geschämt für ihre Eltern, noch später rebelliert, provoziert, sich distanziert. Um keine Streberin und Außenseiterin zu sein, hat sie sich angestrengt, schlechte Noten zu schreiben, aber sie war, wer sie war.
In ihrem heutigen Ich löst sich die Scham und Wut auf in einem warmen Gefühl von Nähe und Respekt dafür, was ihre Eltern alles geleistet haben. Heute stellt sie sich der Frage, wie es wohl für ihre Eltern gewesen sein muss, Sankt Petersburg in den 90ern zu erleben, die unsichere Stimmung und Angst unter der jüdischen Bevölkerung. Wie es sich angefühlt haben muss in einem Wohnheim. Wie schwer es gewesen sein muss, zurück gewiesen zu werden bei dem Versuch, an den eigenen akademischen Beruf anzuknüpfen, schließlich in einer Fabrik zu landen und als Reinigungskraft "meine Perle" genannt zu werden. Wie schmerzhaft es gewesen sein muss, die Mutter und die eigenen Kinder leiden zu sehen, aber nicht den Weg weisen zu können und es auszuhalten, wie die Rollen sich vertauschen.
Lena sinniert nicht nur über ihre Eltern sondern auch über die Sprache. Sie streut in den Text immer wieder russische Worte, schreibt sie in kyrillisch auf, erklärt sie einmal und setzt auf die Lernfähigkeit der Leser:innen. Nun, meine eher schlecht als rechten Kyrillischkenntnisse reichen, es zu lesen. Ich vermute aber, dass es auch ohne gut funktioniert, sie wiederzuerkennen und ein kleines bisschen selbst zu erleben, wie es ist, sich eine ganz neue Schrift und Sprache anzueignen. Außerdem ist es ein schönes Stilmittel, fast gegenständlich wirkt die Schrift, wie eines der wenigen Dinge, die sie als Erinnerungsstücke behalten konnte.