Die deutsche Annie Ernaux
Manchmal fragt man sich, wieso gerade dieses Buch auf dem Nachttisch gelandet ist. Aber schon in den ersten Sätzen wird klar: Die Autorin schildert ihre Kindheit und Jugend in den 80er Jahren genau so, wie es Annie Ernaux in ihren Büchern in Frankreich gemacht
hat.
Emcke hat ein anderes Thema: Homosexualität. Dieses wird in alle Facetten gespiegelt. Von dem…mehrDie deutsche Annie Ernaux
Manchmal fragt man sich, wieso gerade dieses Buch auf dem Nachttisch gelandet ist. Aber schon in den ersten Sätzen wird klar: Die Autorin schildert ihre Kindheit und Jugend in den 80er Jahren genau so, wie es Annie Ernaux in ihren Büchern in Frankreich gemacht hat.
Emcke hat ein anderes Thema: Homosexualität. Dieses wird in alle Facetten gespiegelt. Von dem ehemaligen Mitschüler Daniel, der sich vielleicht wegen seiner Homosexualität umgebracht hat, Besuche in Bars, Reisen in den Gaza-Streifen, wo Homosexualität verboten ist, bis hin zu einer Hochzeit eines Freundes bei der alle Schwulen und Lesben an einen Tisch gesetzt wurden, so dass ihre Orientierung ihnen quasi auf der Stirn stand.
Exkurse wie die Misshandlung von Micha im Ferienlager ist eine Stärke des Buches. Die andere Stärke ist die Darstellung der Gesellschaft. Ausführlich berichtet sie von der veklemmten Bravo und von der Kießling-Affäre 1984. Ein General sollte wegen angeblicher Homosexualität aus der Bundeswehr entlassen werden. Erst der biedere Kohl beendete die Affäre.
Gegen Ende wurde mir die Musikvergleiche ein zu viel. Während ich bei Wiglaf Droste sofort die fehlende Aktualität bemerkte, hatte ich hier lange das Gefühl, Emcke könne ihr Buch heute genau so schreiben. Aber gegen Ende bezieht doch klar Stellung für eine Gleichbehandlung von Homosexuellen, auch im Adoptionsrecht (hat sich das nicht durch die "Ehe für alle" geändert?). Dieses geschieht aber in Form von rhetorischen Fragen, die bis auf ein misslungenes Kauder-Zitat Gegenargumente wie etwa das Kindeswohl nicht berücksichtigen, womit ich aber nicht gesagt haben will, dass ich so denke.
Das Hasen-Enten-Bild gefällt mir hingegen wieder. Ein heute noch lesenswertes Buch. 4 Sterne
Zitat:
...immer, wenn das Pärchen endlich irgendwo in einem Keller oder auf einer Wiese eng aneinandergedrückt stand, […] immer, wenn der Junge die Hand unter ihrem BH oder in ihre Hose schob, aber niemals wenn das Mädchen die Hand in die Hose des Jungen schob. Die „Bravo“ stoppte, wie ein Filmriss, kurz bevor die Lust sich richtig entladen konnte. (S.87)