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Kitty sollte ein ganz besonderes Mädchen sein: Sie sollte das strahlende Gesicht und die blauen Augen von Annes bester Freundin Hanneli haben, sie sollte schlank sein, die Haare tragen wie die Schauspielerin Veronica Lake, und ihre Lippen sollten so schön sein wie die von Ava Gardner. Und Kitty sollte zuhören können, ein Ohr haben für die Sorgen des Mädchens, das sich mit seiner Familie in ein Versteck in einem Amsterdamer Hinterhaus zurückgezogen hatte.
Kitty gab es nicht, sie existierte nur in der Vorstellung. An die "liebe Kitty", an die Phantasiefreundin, hat Anne Frank ihr später weltberühmtes Tagebuch gerichtet. Ihr berichtete die aus Frankfurt geflohene junge Jüdin von der Ausgrenzung, von den Repressionen der Nationalsozialisten, von der Angst, entdeckt zu werden, aber auch von den Streitigkeiten unter den Bewohnern des Verstecks in der Amsterdamer Prinsengracht 263.
In einem Comic nun aber - und später auch in einem Film - erwacht diese Kitty zum Leben. Aus der Tinte des bekannten Tagebuchs wird sie, in einer Gewitternacht, zu einer lebendigen Figur. Und in dem Museum, das heute an der Prinsengracht an Anne Frank erinnert, trifft sie auch auf das Mädchen, das im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordet wurde, deren Aufzeichnungen bis heute so viele Leser berühren.
Der israelische Regisseur Ari Folman hat den Comic "Wo ist Anne Frank" gemeinsam mit der Zeichnerin Lena Guberman erschaffen, der Baseler Anne Frank Fonds hat das Projekt unterstützt. Folmans erster Comic über Anne Frank ist das Buch, das nun im Fischer-Verlag erschienen ist (22 Euro), jedoch nicht. Schon 2017 hatte der Israeli, damals in Zusammenarbeit mit David Polonsky, Anne Franks Tagebuch als Comic-Adaption veröffentlicht. Die Erinnerung wachhalten, die Geschichte für ein neues, jüngeres Lesepublikum anders und zeitgemäß erzählen: Das ist Folmans Anliegen. Und das ist ihm, mit beiden Comic-Projekten über Anne Frank, auf berührende Weise geglückt.
In "Wo ist Anne Frank" schlagen Folman und Guberman nun einen Bogen in die Gegenwart. Denn Kitty stößt auf ihrer Suche in Amsterdam nicht nur auf Spuren aus der NS-Zeit, sondern trifft auch auf Familien, die in diesen Tagen vor Unrecht fliehen mussten. In einem heruntergekommenen Haus haben die Flüchtlinge sich verschanzt, nun aber droht ihnen die Abschiebung. Kitty, aufgewühlt von den Schilderungen von Anne Frank, zerbricht sich den Kopf, wie sie ihnen helfen kann - und kommt auf eine radikale, mutige Idee.
Eine solche Verbindung von Geschichte und Gegenwart ist natürlich gewagt. Doch Folman und Guberman gelingt es, die Ereignisse so miteinander zu verknüpfen, dass es weder bemüht wirkt noch etwas relativiert. Am besten geeignet ist ihr Comic sicher für Jugendliche, die sich bereits mit der Geschichte des Nationalsozialismus beschäftigt haben. Doch auch für Jüngere lohnt sich das Buch, dann aber sollte man es am besten vorlesen.
In die Kinos kommt die Geschichte über Anne Franks Phantasiefreundin Kitty, die in der Jetztzeit plötzlich zum Leben erwacht, übrigens auch noch: Im Frühjahr 2023 soll die Filmfassung von "Wo ist Anne Frank" in Deutschland laufen. ALEXANDER JÜRGS
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