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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Fatin Abbas erzählt in ihrem Debütroman "Zeit der Geister" vom Konflikt zwischen Nord- und Südsudan
Als eines Morgens dieser bis zur Unkenntlichkeit verkohlte Leichnam vor dem Tor einer NGO liegt, da bringt er das fragile Zusammenleben der kleinen Schicksalsgemeinschaft, die sich auf dem Gelände der Hilfsorganisation zusammengefunden hat, völlig aus dem Lot. Plötzlich ist der Tod ganz nah und der Tote Vorbote von weit größerem Leid, das bald über die Menschen dieser Stadt an der Grenze zwischen Nord- und Südsudan hereinbrechen wird.
Vor allem William, der als Dolmetscher für die NGO arbeitet, und den US-Amerikaner Alex, der von der Hilfsorganisation entsandt wurde, um neue Landkarten zu erstellen, bringt der Leichnam aus der Fassung, doch aus völlig unterschiedlichen Gründen. William, weil er um seine heimliche Liebe Layla bangt, die just an diesem Morgen nicht zur Arbeit erschienen ist. Alex, weil er bis zum Auftauchen der Leiche den Krieg nur für einen abwegigen Gedanken gehalten hatte - auch weil er weder das Land, das er kartographieren soll, noch die Menschen und ihre Kultur dort versteht und sich auch nicht auf sie einlassen will.
Es sind ganz unterschiedliche Charaktere, die Fatin Abbas in ihrem Debütroman "Zeit der Geister" mitten im Nirgendwo zu einer Schicksalsgemeinschaft werden lässt. In Saraaya, einer fiktiven Grenzstadt zwischen Nord- und Südsudan, leben neben William und Alex noch die Köchin Layla, die Filmemacherin Dena und der zwölfjährige Mustafa auf dem Gelände einer nicht näher genannten Hilfsorganisation zusammen. So unterschiedlich die Protagonisten sind, so sehr verschafft ihnen dieser Ort doch den Freiraum, über ethnische und kulturelle Grenzen hinweg zu einer Gemeinschaft zu wachsen.
In einem Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur erklärte die Autorin kürzlich, dass sie mit diesen so unterschiedlichen Personen über den Gegensatz von Nation und Gemeinschaft nachdenken wollte: "Durch die gemeinsame Erfahrung, dass sie da festsitzen, werden sie zu einer nicht biologischen Familie. Ihre Gemeinschaft schafft es, die Schwierigkeiten der ethnischen, nationalen Identitäten zu überkommen, die sonst immer so dominant sind."
Abbas, die in Berlin lebt und am Bard College lehrt, porträtiert in ihrem Roman ein Land am Rande des Zerfalls, eines, das sich immer an der Schwelle zwischen Frieden und Krieg bewegt. Sie selbst wurde 1981 in Khartum geboren, ihre Eltern mussten nach dem Militärputsch von Omar al-Baschir 1990 in die USA fliehen, weil ihr Vater politisch verfolgt wurde. Bereits 2011, nachdem Südsudan unabhängig wurde, habe sie darüber nachgedacht, dieses Buch zu schreiben, um die Geschichte der beiden Staaten und ihres Konflikts zu beleuchten. Mit Mitte zwanzig habe sie für eine NGO in Sudan gearbeitet, auch in einer Grenzstadt, und viel über die Geschichte des Bürgerkriegs zwischen Norden und Süden des Landes gelernt. "Ich bin in den USA aufgewachsen, und es war ein bisschen auch so, als ob ich dieses Buch für mich selbst geschrieben habe, um mehr über das Land meiner Herkunft verstehen zu können", erklärte sie im Deutschlandfunk.
So sind auch eigene Erfahrungen in diesen dicht geschriebenen Roman eingeflossen. Vor allem die plastischen Beschreibungen der Verhältnisse im Militärgefängnis, in das William gesperrt wird, zeugen davon. "Die Erfahrung meines Vaters im Gefängnis gehört zu den klarsten, lebendigsten Erinnerungen, die ich an den Sudan habe", sagt Abbas. Als Siebenjährige besuchte sie den Vater im Gefängnis in Khartum. Sie erinnert sich noch genau daran, wie sehr sie der Anblick der gefolterten Menschen dort schockiert hat.
Leid, Terror und Angst sind für die Menschen in Sudan jedoch keine Erzählung aus der Vergangenheit. Auch wenn der Roman 2001 spielt, also zehn Jahre, bevor Südsudan unabhängig wurde, ist kein Ende des Konflikts in Sicht. Man kann dieses Buch nicht lesen, die Szenen der Vertreibungen, des Gemetzels, der Entmenschlichung, ohne an den realen Horror zu denken, den die Menschen in Sudan derzeit erleben. Seit einem Dreivierteljahr tobt wieder ein Bürgerkrieg, der bereits Tausende Todesopfer gefordert und Millionen in die Flucht geschlagen hat. Laut UNICEF sind Zehntausende Kinder in Sudan vom Hungertod betroffen. Der einzige Unterschied zu den blutigen Auseinandersetzungen, die Abbas in ihrem Roman beschreibt: Damals fand der Bürgerkrieg an den Peripherien des Landes statt. Jetzt ist er im Zentrum angekommen, im Herzen der Macht.
Es ist ein komplexer Konflikt, den die Literaturwissenschaftlerin in ihrem Debüt beschreibt. Aber es geht ihr nicht nur darum, den Konflikt zwischen den Ethnien aufzuzeigen, den strukturellen Rassismus, dem Südsudanesen wie William ausgeliefert sind. Sie erzählt auch die Geschichte des Kolonialismus und die Beziehung zwischen dem Westen und dem globalen Süden. Alex, der gekommen ist, um die noch immer genutzten Landkarten der britischen Kolonialherren zu aktualisieren, scheitert: an seiner Überheblichkeit und der Komplexität der Region. Sie habe versucht, so Abbas, durch ihn den humanistisch-industriellen Komplex der amerikanischen Hilfsorganisationen zu erklären. "Durch sein Versagen wollte ich die Begrenztheit der westlichen Hilfsindustrie zeigen, die sehr nützlich, aber auch sehr limitiert und problematisch sein kann."
Abbas zeichnet ihre Figuren sehr genau und mit viel Empathie. Als Leser kommt man ihnen nah, leidet und freut sich mit ihnen. Doch auch wenn man es den Protagonisten von Herzen wünscht, ein Happy End lässt die bittere Realität dieses Konflikts nicht zu. AMIRA EL AHL
Fatin Abbas: "Zeit der Geister". Roman.
Aus dem Englischen von Bernhard Robben.
Rowohlt Berlin Verlag,
Berlin 2024.
368 S., geb., 26,- Euro.
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