Paris mit den Augen einer modernen Dichterin
Mit diesem Roman tauchen wir ganz direkt, hautnah in das Paris der Jetztzeit ein ungeschminkt ohne Klischees aber zu jedem Zeitpunkt liebens- und lebenswert.
Wer einen Paris-Roman lesen will, der nicht in Klischees von der Stadt der Liebe erstickt
ist bei Ulrike Ulrichs „Zeit ihres Lebens“ genau richtig. Es ist eine nicht alltägliche…mehrParis mit den Augen einer modernen Dichterin
Mit diesem Roman tauchen wir ganz direkt, hautnah in das Paris der Jetztzeit ein ungeschminkt ohne Klischees aber zu jedem Zeitpunkt liebens- und lebenswert.
Wer einen Paris-Roman lesen will, der nicht in Klischees von der Stadt der Liebe erstickt ist bei Ulrike Ulrichs „Zeit ihres Lebens“ genau richtig. Es ist eine nicht alltägliche Liebeserklärung ebenso an Paris wie an den Dichter Rainer Maria Rilke, dessen einziger Roman („Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“) vor über hundert Jahren ebenso in Paris spielte.
Die Hauptfigur Liane ist Schriftstellerin. Sie steckt mit ihren sechzig Jahren in einer Schaffenskrise. Deshalb hat sich Paris zum eigenen Exil auserkoren. Sie hat den Plan sich in der Stadt an der Seine, in der sie niemanden kennt ganz und gar dem Schreiben zu widmen.
Dazu geht sie ins Cafe. Dort lernt sie in alltäglichen Begegnungen besondere Menschen der Metropole kennen wie zum Beispiel die Impfgegnerin Florence, die wegen Corona ihren Job verliert, den jungen Lehrer Kader, der wie die Hauptfigur Fußball mag oder aber auch Christine, die sie regelmäßig als Bettlerin vor dem Supermarkt gegenüber trifft. Mit jedem Tag mehr merkt Liane, wie ihr eigentliches Vorhaben in den Hintergrund rückt und sie stattdessen beginnt Briefe an ihre verstobene Freundin Jana zu schreiben. Ihr erzählt sie in den Briefen an die Verstorbene wie in einer Art Tagebuch dicht und atmosphärisch über ihr jetziges Leben - ohne sie.
Sie teilt mit ihrer toten Freundin vorbehaltlos alle Gedanken – alle Eindrücke. Als würde sie jetzt mit ihr telefonieren, führt sie ein Jana-Tagebuch in dem es auch um die gemeinsam erlebte Vergangenheit geht. Jana war wie Liane Autorin nur erfolgreicher und gefestigter. Im inneren Monolog mit ihrer Freundin nimmt uns Liane mit in ihre von Ängsten und Krankheit geprägte Kindheit, hin zu der toten Mutter, die ihr Leben den Kindern gewidmet hatte. Wir erfahren von dem gespalteten Verhältnis zu ihrem Vater und springen wieder mit ihr in die Gegenwart in die Bindungsangst gegenüber ihrem jetzigen Freund, der sie erstmal lieber nicht in Paris besuchen soll.
Eine feministische und gleichzeitig empfindsame Autorin sucht im Schreiben Halt und verwebt diese Geschichten von und über Frauen auch mit historischen Frauen aus der Pariser Kommune, wie die der in Frankreich nach wie vor verehrten Anarchistin Louise Michel. Literarisch, sprachlich, historisch und auch politisch ist dies weitaus mehr als eine moderne Adaption von Rilke Pariser Roman. Das Buch ist eine feministische Antwort darauf – auch weil Frauen in der Literatur noch immer eine unterrepräsentierte Rolle spielen, wie die Autorin ihre Hauptfigur sagen lässt. Wie Ulrike Ulrich all diesen verschiedenen Ebenen, Motive, Zeiten, literarische wie auch aktuelle politische Bezüge zu einem Roman verwebt ist eine sehr lesenswerte Meisterleistung.