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Der 20-jährige Iliac arbeitet in einem Massagesalon. Das langsame Entkleiden des Kunden und eine intensive Ölmassage sind das selbstverständliche Vorspiel für den Sex mit der schwulen Kundschaft. Als ihn die Nachricht vom Tod seines Vaters ereilt, reist Iliac nach langer Zeit erstmalig wieder in seine Heimat und stellt sich seiner Vergangenheit. Ausgezeichnet mit dem GOLDENEN LEOPARD Internationalen Filmfestivals Locarno.

Produktbeschreibung
Der 20-jährige Iliac arbeitet in einem Massagesalon. Das langsame Entkleiden des Kunden und eine intensive Ölmassage sind das selbstverständliche Vorspiel für den Sex mit der schwulen Kundschaft. Als ihn die Nachricht vom Tod seines Vaters ereilt, reist Iliac nach langer Zeit erstmalig wieder in seine Heimat und stellt sich seiner Vergangenheit. Ausgezeichnet mit dem GOLDENEN LEOPARD Internationalen Filmfestivals Locarno.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.08.2021

Strahlende Hypnose

Ein junger Ukrainer erlöst Polens Mittelklasse durch Handauflegen. Malgorzata Szumowskas "Der Masseur" ist vor allem ein ästhetisches Ereignis.

Der junge Mann kommt aus dem Wald. Er durchquert eine noch namenlose Stadt, die Straßenbeleuchtung beginnt in seiner Nähe zu flackern. An wartenden Menschen vorbei steigt er eine Treppe hoch, und schon ist er in dem Raum, in dem er bekommen wird, was er braucht: eine Aufenthaltsgenehmigung. Er erhält sie allerdings nicht mit dem üblichen Verfahren, sondern auf seine Weise. Er setzt den Beamten außer Gefecht, mit einer Kopfmassage. Den Stempel, auf den es ankommt, drückt er selbst auf das Dokument. Europa hat eine neue Arbeitskraft: Zhenia, geboren 1979 in Pripyat in der Ukraine. Das ist die Stadt, die heute in der Sperrzone liegt, die vom Reaktorunfall in Tschernobyl geblieben ist. Zhenia könnte "verstrahlt" sein. Aber das ist, wie sich bald erweist, nur ein Hilfsausdruck für das eigentümliche Charisma, von dem Malgorzata Szumowska und Michal Englert in ihrem Film "Der Masseur" erzählen.

Zhenia hat sich einen besonderen Ort für eine Tätigkeit ausgesucht. Eine Gated Community außerhalb Warschaus. Deren Schranke wird nicht allzu streng bewacht, schließlich ist Polen kein Land, in dem Wohlhabende mit Entführungen rechnen müssten. Und es ist auch kein außergewöhnlicher Reichtum, der in dieser Siedlung Zuflucht gefunden hat. Es ist die neue Mittelklasse des postkommunistischen Staats; Menschen, die sich eine der in Reih und Glied gebauten Villen leisten können, die mit Säulen irgendwie auf klassisch tun, aber eigentlich nichts anderes darstellen als eine typische Zuflucht in Suburbia. Hier geht Zhenia von Haus zu Haus. Den Massagetisch bringt er mit. Ob er überall einen Termin gemacht hat oder ob sich die Türen wie von selbst öffnen, muss schon gar nicht mehr geklärt werden. Alles, was Zhenia tut, scheint sich von selbst zu verstehen.

Die erste Klientin heißt Ewa. Das Haus ist in einem chaotischen Zustand, am Abend davor wurde gefeiert, Ewa brummt noch der Kopf. Der Massagetisch hat für den Kopf eine eigene Öffnung, wenn man die Kamera von unten darauf richtet, sieht das Gesicht immer ein wenig unvorteilhaft aus, zerknautscht, aber auch irgendwie zur Kenntlichkeit entstellt. Fast jedes Bild in "Der Masseur" wirkt wie komponiert, die ganze Bandbreite zwischen einfacher Symbolik und grotesker Entlarvung kommt dabei zur Geltung. Malgorzata Szumowska hat sich in den vergangenen zehn Jahren mit Filmen wie "Im Namen des . . ." oder "Body" als die wichtigste jüngere Vertreterin des polnischen Kinos etabliert. Sie hat dabei immer schon mit Michal Englert zusammengearbeitet, der meist als Kameramann und auch als Autor genannt wurde. Nun ist er Ko-Regisseur, und offensichtlich aus guten Gründen, denn "Der Masseur" ist vor allem ein ästhetisches Ereignis.

Zhenias Gang von Villa zu Villa führt ihn zu immer neuen Figuren, die ein Schicksal haben, ein Begehren, eine Neurose, aber auch eine Welt, mit der sie sich umgeben. Für diese Versuche, ein Leben zu designen, hat Englert einen untrüglichen Blick, wobei da wohl eine lustvolle Arbeit an der Ausstattung des Films auf einen immer wieder sarkastisch gestimmten fotografischen Impuls trifft. Denn Englert und Szumowska erfinden (und übertreiben) ja selbst, was sie dem Auge der Kamera preisgeben.

Die Hände von Zhenia schaffen einen Zustand, in dem die Zensur des Wachbewusstseins oder die sozialen Regeln außer Kraft treten. Er geht sogar noch einen wesentlichen Schritt weiter, bringt mehr als bloße Entspannung. Mit einem Fingerschnippen versetzt er seine Klienten in Hypnose. In einer markanten Szene nutzt er den "Schlaf" einer Frau für einen Tanz durch das Haus, er ist plötzlich ein Ballettkünstler, der die Leichtigkeit, die er bringt, auch selbst verkörpert. Er dringt aber auch in die Geheimnisse der Menschen ein, und er hat selbst welche. Er lebt in einem Plattenbau, also auf der anderen Seite der gesellschaftlichen Hierarchien. Und er verdankt sein Charisma, wie eine Rückblende zeigt, einem schrecklichen Verlust in der Kindheit, der vielleicht auch mit "Verstrahlung" zu tun hat.

"Der Masseur" erinnert an Pasolinis "Teorema" (1968), in dem Terence Stamp einen Gott spielte, der bei einer Familie aus der Bourgeoisie auftaucht und sie zerbrechen lässt, indem er bei allen Mitgliedern die innersten Wünsche freilegt. Anders als bei Pasolini, der sich für ein mögliches heutiges Verständnis von Mythos interessierte, geht es bei Szumowska und Englert allerdings in erster Linie um Suggestion. Zhenia ist eine Figur, deren Bewandtnis vor allem in einer Szene deutlich wird, in der wir ihn in einer Peepshow sehen, ein Spiegelwesen, das gebannt auf eine Erscheinung uneindeutigen Geschlechts blickt. Wer wen wie sieht, ist hier weniger eine Frage der Position als des Effekts.

So steuert "Der Masseur" (der Originaltitel lautet: "Never Gonna Snow Again") zielsicher auf ein Finale zu, in dem sich die Wirkung von Zhenia ein für alle Mal erweisen soll. Die Kinder in der Gated Community gehen alle auf eine École Française, weil das eben für diese Klasse comme il faut ist. Bei einer Schulaufführung machen Szumowska und Englert eine Art Probe auf ihr eigenes Konzept, sie stellen genuines Charisma und moderne Magie (also Illusionismus) gegeneinander und schaffen dabei eine starke Pointe. "Der Masseur" endet wie jeder moderne Messias in einer Uneindeutigkeit: War da schon was? Oder kommt das Entscheidende erst?

Diese Lücke zwischen Trug und Erfüllung schließen Malgorzata Szumowska und Michal Englert zumindest vorläufig mit einem der sehenswertesten europäischen Filme der neueren Zeit. BERT REBHANDL

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