Clay hat es geschafft: Mit der millionenschweren Beute eines Drogendeals kommt er nach Hause und plant schon seine luxuriöse Zukunft. Seine Ehegattin Bridget brennt jedoch mit dem Geld durch, nachdem Clay ausrastete und die schlug. Von der City New Yorks verschlägt es sie mit der Beute in das Kaff Beston, wo sie als sexbesessene Femme Fatale, die kein Blatt vor den Mund nimmt, sofort sämtliche Aufmerksamkeit auf sich zieht. So versucht auch der naive Versicherungsvertreter Mike bei ihr zu landen. Eine nicht ganz ausgewogene Affäre beginnt, denn Bridget hat ganz andere Pläne
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kapitel- / SzenenanwahlRollenwechsel zwischen Frau und Mann beim Film noir: John Dahls "Letzte Verführung"
Sie macht es morgens, mittags und abends. Im Liegen, im Stehen und in der Hocke. Aus Leidenschaft, aus Langeweile und aus Berechnung. Beim Essen, bei der Arbeit und sogar beim Sex. Weil die Welt für sie am Draht hängt, hängt Bridget (Linda Fiorentino) am Telefon wie ein Junkie an der Nadel. Der Zufall hat sie in ein Nest namens Beston verschlagen. Dort kann man "bestonfalls" existieren, leben dagegen kann man ihrer Ansicht nach nur in einer Stadt: New York. Vor einiger Zeit mußte Bridget von dort flüchten und braucht seither regelmäßig ihre tägliche Dosis metropolitanen Fluidums. Jeder ihrer unzähligen Anrufe hat nur ein einziges Ziel: sie so schnell wie möglich in ihren natürlichen Lebensraum zurückzubringen.
Mit den Taschen voller Geld kommt Bridgets Ehemann Clay (Bill Pullman) zu Beginn des Films "Die letzte Verführung" von einem Drogendeal zurück. Er knöpft sich das Hemd auf und will mit seiner Frau schlafen; sie bringt ihn dazu, vorher zu duschen, und knöpft ihm das Geld ab. Sie steigt in den Wagen und fährt, bis in Beston der Tank leer ist. Mehrere hundert Kilometer vom Big Apple entfernt, hat sie schon erste Entzugserscheinungen, geht in eine Bar und bestellt - was sonst? - einen Manhattan. Würde der Barkeeper auch die Buchstaben von "New York" im Cocktailshaker mixen, käme vielleicht genau jenes Pseudonym heraus, das sie sich bald zulegen wird: Wen(dy) Kroy. Aber der Barkeeper tut nichts dergleichen. In Beston ist man es nämlich nicht gewohnt, daß Frauen allein in eine Bar gehen und ihre Getränke selbst bestellen.
Bridget dagegen ist es gewohnt, sich zu nehmen, was sie haben will, und nicht darauf zu warten, daß man es ihr gibt. Sie bittet nie um Einlaß, sie verschafft sich Zutritt. Als Mike (Peter Berg) für sie bestellt und ihr den Drink bringt, nimmt sie zwar das Glas, ihn jedoch weist sie ab. Weil ihm nichts Besseres einfällt, prahlt er mit der Größe seines Geschlechtsorgans. Daraufhin greift sie kurzentschlossen zu, überlegt einen Moment und macht bei ihm zu Hause die Probe aufs Exempel. Mike fühlt sich wie im Himmel, doch schon bald beginnt für ihn die Hölle auf Erden. Denn ein Mann, der viel in der Hose und wenig im Kopf hat, ist für Bridget ein gefundenes Fressen.
Bridget ist eine Weiterentwicklung der klassischen femme fatale des film noir, und deshalb hat der Regisseur John Dahl sie auch ausnahmslos in schwarzweiße Kleidungsstücke gesteckt. So wirkt sie wie eine schwarze Witwe, die schon immer vorsorglich Trauer trägt für die Männer, denen sie demnächst auf den Leib rückt. Bei jedem einzelnen holt sie sich jeweils das, was sie gerade braucht: bei ihrem Ehemann Geld, bei ihrem Liebhaber Sex, bei ihrem Anwalt Rat. Während sie die Männer benutzt, fädelt sie einen raffinierten Plan ein, der ihr einen Triumphzug durch New York bescheren soll. Mike, der schwächste von allen, spielt dabei die wichtigste Rolle. Weil er sich nach ihr verzehrt, kann sie ihn um so leichter mit Haut und Haaren verschlingen.
Während des Schlüsseldialogs, in dem Mike - ohne es zu ahnen - Bridget auf die Idee für ihre mörderische Intrige bringt, sind die beiden nie in einer Einstellung zu sehen. Richtet die Kamera den Blick auf Bridget, sehen wir im Hintergrund stets ein gelbes und ein blaues Licht in der Tiefe der ansonsten dunklen, rauchgeschwängerten Bar. Folgt der Umschnitt auf Mike, bestimmen rote und grüne Neonleuchtschriften das Bild. Dahl benutzt in der gesamten Sequenz im wesentlichen nur diese vier Farben und setzt sie so ein, daß in jeder Einstellung ein Komplementärkontrast herrscht. Die Figuren werden visuell voneinander getrennt, doch die Farben lassen bereits das Gefühl spannungsvoller Einheit entstehen.
Der eine hat die Idee, der andere führt sie aus; der eine denkt, der andere handelt. Mike, der als Versicherungsagent arbeitet, erzählt Bridget von einer Frau, die froh über den Tod ihres Mannes gewesen sei, denn nach seinem Ableben war herausgekommen, daß er eine seiner Kreditkarten auf den Namen einer fremden Frau ausgestellt hatte - seiner Geliebten. Da Mike Informationen über die Kreditkarten seiner Kunden einholen kann, überlegt sich Bridget, untreue Männer per Computer ausfindig zu machen, mit den Ehefrauen Kontakt aufzunehmen, ihnen die Ermordung des Gatten anzubieten und sich dafür an der ausgezahlten Lebensversicherung beteiligen zu lassen. Als sie Mike diesen Vorschlag unterbreitet, erklärt er sie für verrückt. Kurz darauf sehen wir die beiden zusammen in einer Einstellung, in der am rechten Bildrand eine grüne Lampe leuchtet, während der Hintergrund gelb ist. Mike stellt eine blaue Sporttasche auf den Tisch, dann geht er nach links aus dem Bild und kommt einige Sekunden später mit einem roten Eishockeyschläger zurück. Auch wenn er Bridgets Plan hier noch weit von sich weist, die Farben machen ihn bereits zum Komplizen.
Das farbige Licht, das durch übermäßigen und wahllosen Gebrauch zum Klischee des modernen film noir geworden ist, setzen Dahl und sein Kameramann Jeffrey Jur meist äußerst zielgerichtet ein. Auch kommen sie im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen mit erstaunlich wenig Dunkelheit aus; fast drei Viertel aller Szenen spielen am hellichten Tag. Sie brauchen das Zwielicht und die Finsternis nicht, weil sie eine Heldin haben, deren Seele schwärzer ist als die Nacht. Mit Dialogsätzen ausgestattet, die so schmutzig sind, daß man sich danach die Ohren waschen möchte, und flankiert von einer Kamera, die ihre raumgreifenden Bewegungen durch schnelle Fahrten noch unterstreicht, gibt Linda Fiorentino der Figur genau die richtige Mischung aus Bösartigkeit, Scharfsinn und Erotik.
Wie seine Heldin macht auch der Film nichts ohne Hintergedanken, Ökonomie und Zweckmäßigkeit bestimmen von der ersten bis zur letzten Minute seinen Duktus. Geschickt wird mit überlappendem Ton gearbeitet, keine Sekunde Erzählzeit verstreicht ungenutzt. "Die letzte Verführung" gleicht einem Teppich mit größter Webdichte.
Nur am Ende, als beim Showdown in New York ein überraschendes Geheimnis aus Mikes Vergangenheit gelüftet wird und Bridget erst Clay und dann ihn über die Klinge springen läßt, treiben es der Drehbuchautor Steve Barancik und der Regisseur Dahl eindeutig zu weit. Dennoch ist der Film eine der ersten Verführungen dieses Kinojahres - und man braucht keine Angst davor zu haben, sich ihr hinzugeben. LARS-OLAV BEIER
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