Echtzeitkino aus Chile: "Sábado - das Hochzeitstape" von Matias Bize
Kaum ein Monat vergeht, in dem nicht ein neuer kleiner Film aus Lateinamerika in deutsche Lichtspielhäuser gelangt. Jüngst erst verbreitete die traurige Komödie "Whisky" von Juan Pablo Rebella und Pablo Stoll aus Uruguay einen surrealistischen Hauch. Nun stürzt uns der erst sechsundzwanzig Jahre alte Chilene Matias Bize in ein wagemutiges Experiment. "Sábado - una pelicula en tiempo real", so der Originaltitel, soll ein Film "in Echtzeit" sein. Die Länge des Films, fünfundsechzig Minuten, ist zugleich die Länge der Handlung, behauptet der Absolvent der Chilenischen Filmhochschule bei seiner Tour de force durch Straßen, Häuser und Wohnungen in einem Mittelstandsviertel in Santiago.
Entsprechend kurz ist die Handlung: Am Morgen des Tages, an dem Blanca und Victor heiraten wollen, erfährt die Braut von einer schreienden Konkurrentin namens Antonia, daß der Verlobte sie jahrelang, sogar noch in der letzten Nacht, mit ihr betrogen hat. Überwältigt von der Wahrheit, fährt Blanca, schon im Hochzeitskleid, unverzüglich zu Victor, der unter der Dusche anfangs alles abstreitet, dann aber zugibt. Noch auf der Straße bittet er die rasende Blanca vergeblich um Verzeihung. Bei Freunden sucht die Geprellte Trost, bei einem Bekannten umsonst Ersatz.
Der Stoff hätte leicht zu einer mehrteiligen Telenovela aufgebauscht werden können. Der Regisseur Bize staucht ihn jedoch zusammen, weil er nicht die Herzen der Zuschauer betören, sondern die Aufregung des Herzens filmisch untersuchen will. Er stellt sie als Pose bloß, die nur für kurze Zeit von der Langeweile erlöst. "Alles bereit?" fragt Antonia ihren Nachbarn Gabriel, den sie mitgeschleppt hat, damit er mit der Kamera den Auftritt bei der Nebenbuhlerin festhält. Dann verpflichtet Blanca den Mann als Zeugen für ihre Kopfwäsche bei Victor. Als niemand mehr da ist, dem sie eine Szene machen kann, wird auch Gabriel Diaz als fiktiv-realer Kameramann nicht mehr gebraucht.
Man könnte Bizes Film für einen bloßen Jux halten, hätte sein Einfall nicht etwas mit der Stimmung und Haltung der Figuren und so mit zumindest einem Teil der jungen Generation Chiles zu tun. Erst das Gefilmtwerden scheint hier den Personen die nötige Evidenz vor sich selbst zu verleihen. Das Ende der Aufwallung ist auch das Ende des Filmens. Wer resigniert, braucht keine Wahrheit mehr festzuhalten, weil sie allein schließlich nichts ändern kann. Melancholische Einsicht trägt in den neuen Filmen aus Südamerika fast immer den Sieg davon. Und doch verweigern sie sich Selbstmitleid und Verzicht. In der Konstruktion von Versuchsanordnungen wie "Sábado" schwelt immer noch oder wieder jener Zorn, der den lateinamerikanischen Film der sechziger und siebziger Jahre groß werden ließ.
Die jungen Darsteller, allen voran Blanca Lewin, Antonia Zegers und Victor Montero, die zugleich die Namenspatrone ihrer Figuren sind, spielen mit wunderbar vorgetäuschter Leidenschaft und verstärken so den Schein des Authentischen. Distanz, Verfremdung, Parabelhaftigkeit sind freilich Stichworte von gestern, als die Filmkunst des Cinema novo zum Befreiungsschlag ausholte. Auf dem Filmfestival in Mannheim-Heidelberg erhielt "Sábado" den Rainer-Werner-Fassbinder-Preis.
HANS-JÖRG ROTHER
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