Kein Land ohne Blut:
"Adama" von Lavie Tidhar ist ein hartes Buch. Die Härte, mit der sich die Überlebenden des Holocausts und die schon früher nach Israel ausgewanderten oder dort geborenen Juden dieses Land mit der Waffe erkämpft haben, wird spürbar. Erzählt wird eine Geschichte über mehrere
Generationen. Gründungsperson dieser Familie ist Ruth, die große Teile ihrer Familie im Holocaust…mehrKein Land ohne Blut:
"Adama" von Lavie Tidhar ist ein hartes Buch. Die Härte, mit der sich die Überlebenden des Holocausts und die schon früher nach Israel ausgewanderten oder dort geborenen Juden dieses Land mit der Waffe erkämpft haben, wird spürbar. Erzählt wird eine Geschichte über mehrere Generationen. Gründungsperson dieser Familie ist Ruth, die große Teile ihrer Familie im Holocaust verloren hat und die es geschafft hat, schon vor der Shoah nach Palästina auszuwandern und dort im Kibbuz lebt. Später kommt ihre Schwester Shosh(ana), die ein Konzentrationslager überlebt hat, für eine Weile dazu, außerdem gibt es Kinder und Enkel. Familie soll aber im Kibbuz nicht wirklich gelebt werden, die Kinder werden von Anfang an ihren Eltern entfremdet, gemeinschaftlich aufgezogen und sollen die Eltern nicht "Mama" oder "Papa" nennen, sondern nur beim Vornamen, siehe z.B. diese Stelle: "Yael gehörte ihr nicht, ihr gehörte nichts, jedenfalls nicht, solange sie im Kibbuz lebte. Yael war nur eine von vielen Rotznasen in der Masse der Kinder, unterschied sich durch nichts von Yoram und Ophek, den Kindern ihrer Schwester. Sie gehörten alle dem Kibbuz." (S. 228). Auch deshalb scheint in späteren Generationen, die so nicht mehr leben möchten, der Kibbuz ein aussterbendes Konzept zu sein.
Am interessantesten war für mich an diesem Buch tatsächlich die Schilderung des harten Alltags des Ankommens in Palästina in den späten 1940er Jahren und danach, sowie der kommunistisch organisierte Alltag im Kibbuz, ohne traditionelle Familienstrukturen oder Privateigentum und die extreme Betonung des Werts von Arbeit, siehe z.B. diese Stelle: "Jetzt traf Ruth sich mit all ihren alten Freunden und Freundinnen in einem hübschen, gemütlichen Saal, wo sie Produkte aus der Fabrik verpackten: eine leichte, unanstrengende Arbeit, aber immer noch Arbeit. Und die war im Kibbuz von allerhöchstem Wert. Arbeiter sein. Wer arbeitete, war jemand und war kein Schmarotzer. Ein Wort, das Ruth ausspie wie die schlimmste Beleidigung, schlimmer als alles andere. Wenn man hart arbeitete, spielte es keine Rolle, was man sonst machte." (S. 44)
Und sonst gemacht wird eine Menge, unter anderem mit der Waffe für das Land gekämpft, aber auch, in einer späteren Generation, für Geld Auftragsmorde verübt, und noch so einiges mehr. Es ist eine kalte Zeit, in der arabische Dörfer einfach ausgelöscht werden, denn: "Die Tzabarim waren nicht schwach wie die alten europäischen Juden. Sie waren neu und hart und die Herrscher in diesem Land, diesem "Adama". Sie hatte das Wort im Hebräischunterricht gelernt und hasste es. "Es gibt kein A-d-a-am-a ohne d-a-m", hatte ihr erster Lehrer stolz erklärt. "Dam" war Hebräisch und bedeutete Blut. Kein Land ohne Blut. Shosh hatte Blut satt." (S. 224)
Aber auch jüdische Flüchtlingskinder nicht sicher sind und laufen Gefahr, skrupellosen Menschenhändlern zum Opfer zu fallen, ohne dass es die meisten anderen Menschen besonders kümmert. Stark spürbar sind die tiefen Wunden und Traumatisierungen durch die NS-Zeit, und der starke Wunsch, weiterzuleben und das Leben weiterzugeben, siehe z.B. diese Stelle: "Shosh wünschte sich auch ein Baby. Von wem, spielte keine Rolle. Sie wollte neues Leben in die Welt setzen, neues Leben für all das verlorene. Schon allein, um den Nazis zu sagen, ihr konntet uns nicht alle töten, und jetzt sind wir hier, wir leben noch und wir schaffen neues Leben. Ein Baby zu bekommen, hatte etwas von einem Wunder." (S. 156)
An diesen erwähnten Themen sieht man also: das Buch behandelt wichtige Aspekte der Geschichte Israels und regt zum Nachdenken an. Damit komme ich allerdings auch schon zur Kritik: sprachlich und literarisch ist es weit entfernt davon, ein Meisterwerk zu sein. Die Sprache ist überwiegend sehr einfach, teilweise voll mit übertriebenen, unpassenden Metaphern. Es gibt unzählige für die weitere Handlung irrelevante Szenen zum Rauchen oder Essen, die in wiederholender Art detailliert geschildert werden. Die Charaktere sind simpel konstruiert, keinen davon konnte ich wirklich nachfühlen, insgesamt verbindet sie fast alle nur die Härte, die sie in sich tragen, ansonsten werden sie wenig individuell spürbar. Von der inhaltlichen Konstruktion her sind es auch eher einzelne Szenen, die geschildert werden, als ein in sich schlüssiger Thriller. Spannung kommt auch nicht wirklich auf. Insgesamt ist es also ein bestenfalls mittelmäßiges Buch, das ich nicht wirklich empfehlen kann, denn auch zu oben geschilderten Themen gibt es in der israelischen Literatur weit besseres.