Ich habe als jemand, der ebenso lange im gleichen Bereich tätig war, dieses Buch sehr gerne gelesen. Es ist eine muntere, kreative Reihung von Anekdoten und Regeln, Erlebnissen und Skurrilem aus einer Agentur, die das Werbegeschehen in Deutschland über Jahrzehnte dominierte. Wer eine Mutter wie
Jean-Remy von Matt hatte, musste kreativ werden, ihre Tricks haben mir gefallen. Vor allem jener der…mehrIch habe als jemand, der ebenso lange im gleichen Bereich tätig war, dieses Buch sehr gerne gelesen. Es ist eine muntere, kreative Reihung von Anekdoten und Regeln, Erlebnissen und Skurrilem aus einer Agentur, die das Werbegeschehen in Deutschland über Jahrzehnte dominierte. Wer eine Mutter wie Jean-Remy von Matt hatte, musste kreativ werden, ihre Tricks haben mir gefallen. Vor allem jener der Eiskühlung von Verletzungen inkl. bester Wirkung. Aber erst wenn der Schmerz weg war, durfte das Eis verspeist werden! Ihre ungewöhnlichen Ideen bereiteten dem Sohn wohl auch die spätere Karriere vor, sie war sein Starkmacher.
Seine Werbung um eine Klassenkameradin mit dem Schild „Willst Du mir mit gehen“ wiesen ebenso auf eine Tätigkeit hin, die später eine Art Dauerhochzeitsantrag werden sollte: Werbetexte verfassen. Zieht man aus diesem Buch die Storytelling-Überdrehungen, das Größte-Schönste-Geraune ab, bleibt immer noch eine Menge an Substanz, die ich als Aphorismensammler geschätzt habe. Von einem mittelmäßigen Schüler zu einer solchen Karriere zu gelangen, das muss einem erst mal einer nachmachen.
Ich erinnere mein Lieblingszitat: „Sei früher bei der Arbeit. Sei später mit ihr zufrieden.“ Es gefällt mir sehr. Immer wollte die Agentur Jung v. Matt unzufrieden bleiben und hat wohl eine Aussage von Manfred Rommel erfüllt: „Das Gute immer kritisch sehen, um das Bessere zu erreichen.“
Jean-Remy hat dieses Buch bei Nius promotet, also keine Berührungsängste mit bürgerlichen Zielgruppen, sein Auftritt zeigte seinen höflichen, zurückhaltenden Charakter. Auch bei meinen internationalen Werbeagenturen war es so, dass wir im Grunde nie über Politik geredet haben, nie sprachen wir über unsere Parteienpräferenz. Eine schöne Zeit, die heute völlig anders ist. Wichtig war immer nur die kreative Aufgabe und Regeln dabei waren Krücken für kreativ Lahme. Wir stritten wie die Kesselflicker und heute zergeht sich alles im Gleichklang von konsensualem, ödem Einheitsbrei.
Ein Buch zum Ende hin schlechter werden zu lassen hätte ich ihm als Kontakter, der ich war, nicht durchgehen lassen. Sie macht keinerlei Sinn, nicht mal Unsinn. In meinen Leben als studierter BWLer mit Diplom (ja, man wurde nicht gemocht) habe ich nacheinander diese 3 Menschentypen kennengelernt: Texter, Layouter und Fotografen. Alle haben mich motiviert, diese Dinge auch zu können, aber als 1mann Macher.
Kreative Werber leiden unter dem schlechten Image, das sie von der Hochkultur trennt. Nur einen intellektuellen, marxistischen Texter kenne ich, der richtig gut war. Sein Credo: diesen Mist mache ich mit links, aber ich verachte ihn. So geht es auch mir. Heute ist KI etwas, das mich fasziniert und eine Revolution einleitet, die Werbung zu einem Kinderspiel werden lässt. Richtig langweilige, informative Werbung schätze ich, das überdrehte „ich bin so merkwürdig, guck mich, hör mich“ - ist so was von vorgestern. Eine gut verständliche Gebrauchsanweisung ist eine echte Herausforderung an die Kreativität.
„Wir können alles außer hochdeutsch“, dieser Spruch für Baden-Württemberg ist aufgefallen, zweifellos. Bei mir und vielen Baden-Württembergern jedoch negativ. Trotz meiner Herkunft hatte ich den schönen Tonfall aufgegeben, um mich überall auf der Welt verständigen zu können. Für höfliche Schwaben ein völlig normales Verhalten des guten Miteinanders, er will nirgendwo auffallen - und schon gar nicht durch besonderen, vorlauten Witz. Ein noch größerer Murks: The Länd. Dafür hätte ich mich mit den Kreativen geprügelt und die Pappen zertrampelt.
Die Küchentisch-Gespräche eines grünen Kanzler-Bewerbers waren erkennbar Agentur-getrieben, schon das Setting nur peinlich, ganz zu Schweigen von dem, was daran gesprochen wurde. Aber Niederlagen pflastern den Weg der Kreativen, so die Eigeneinschätzung des JRvM. An Marktforschung glaubt er nicht und an Werbeerfolgskontrolle ebenso wenig. Beide behindern den großen, disruptiven Wurf, klar! Dazwischen standen immer die Berater, die auch noch die kindlichsten Dingen marketing-mäßig verpacken mussten. Alpträume plagen mich noch heute.
Wirklich kreativ ist man nur solo. Das Buch von Jean-Remy von Matt hat mich zu vielen Gesprächen, Fragen und Antworten inspiriert und ich bin der Frage nachgegangen, wer einen im Leben am meisten prägt. Das Bild der Mutter von JRvM auf Seite 160 hat sich mir eingeprägt und ich übertrage es auf einen Mann, den man bewundern kann, vor allem ob diesen Startbedingungen einer wirklich zugewandten, klugen, kreativen Mutter. „Wem Mutterwitz fehlt, dem hilft auch die beste Ausbildung wenig.“
Gefehlt hat mir ein Bekenntnis zum Unternehmer-tum, zur Freiheit und zum selbstständigen Wirken. Werber wollen aber nur spielen, sich nicht bekennen zu den wirklich wichtigen Dingen, Liebkind mit allen sein. Hier bewundere ich einen Mann, der nie nachlässt und auch nicht an sein Ende denkt, Dr. Wolfgang Herles hat ein freiheitliches, bürgerliches Credo verfasst, das mich inspiriert: „Mehr Anarchie, die Herrschaften.“