Der Titel des ersten Romans von Fiona Sironic hat mich wirklich neugierig gemacht. Und ich kann jetzt verstehen, warum die Mädchen Sachen in die Luft jagen.
Die 16- jährige Ich-Erzählerin Era erzählt aus einem Leben in der nahen Zukunft, die Klimakrise hat zu veränderten Lebensbedingungen geführt,
sie lebt mit ihrer Mutter in einer Hütte im Wald, betonierten Boden kann man nicht betreten, vieles…mehrDer Titel des ersten Romans von Fiona Sironic hat mich wirklich neugierig gemacht. Und ich kann jetzt verstehen, warum die Mädchen Sachen in die Luft jagen.
Die 16- jährige Ich-Erzählerin Era erzählt aus einem Leben in der nahen Zukunft, die Klimakrise hat zu veränderten Lebensbedingungen geführt, sie lebt mit ihrer Mutter in einer Hütte im Wald, betonierten Boden kann man nicht betreten, vieles ist durch Überschwemmungen zerstört worden, das Risiko von Waldbränden ist sehr hoch. Es gibt kein Obst oder Gemüse oder Fleisch. Die öffentliche Sicherheit wird durch feuerlegende Jugendliche gefährdet.
Retrospektiv berichtet sie vom Leben ihrer Tante und ihrer Mutter, dem Kampf der Menschen gegen die Klimakatastrophe oder der Vereinnahmung des Lebens durch das Internet.
Sie verfolgt regelmäßig einen Live-Stream, in dem 2 vermummte Mädchen im Wald Dinge verbrennen und explodieren lassen. Sie entdeckt, dass die Mädchen mit ihren Müttern ganz in der Nähe wohnen und auch die gleiche Schule besuchen.
Sie und Maya freunden sich an und Era erfährt den Grund für die Zerstörungswut der Mädchen. Ihre Mütter haben als lesbisches Paar ihr gesamtes Leben und das ihrer Töchter öffentlich gemacht. Sie sind Momfluenzerinnen, reich und erfolgreich mit einer riesigen Follower-Community und die Töchter versuchen die digitalen Spuren zu vernichten. Sie wurden nicht um Erlaubnis gefragt.
So sprengen die Töchter aus dem Archiv der Mütter gestohlene Festplatten in die Luft und dokumentieren die Zerstörung mit einem alten Camcorder. „Er ist nicht zu orten und kennt keine Netzwerke.“
Era versucht das Artensterben zu dokumentieren, sie ist fasziniert von Vögeln und Vogelstimmen, die es leider oft nur noch digital zu hören gibt. Sie sammelt ihre Informationen in Tagebüchern aus Papier.
In der Welt der Frauen erleben Era und Maya ihre große Liebe. Beide haben Angst vor Kontrollverlust, die eine zerstört, die andere will erhalten.
Die Taten der Schwestern werden von ihren Müttern entdeckt und Maya verschwindet von zu Hause. Sie schließt sich radikalen Gruppen an, den Datenskeptiker*innen. Deren Ziel ist es Serverfarmen, das „Archiv“, das sämtliche Daten gespeichert hat, die aber nicht mehr für jeden zugänglich sind, zu vernichten.
„Es geht um die Organisation von Wissen als Herrschaftsinstrument.“
Im livestream kann Era zusehen, wie ihre Freundin Maya tatsächlich im Inneren der Wissensmacht eindringt.
„Ich kann die Momente blinken sehen. Es sind Millionen Erinnerungen, falsche und richtige, platzierte und retuschierte, die kreischend auf den Datenträgern rotieren, als hätten sie einen Überlebenswillen.“
Es werden nicht nur die Vogelstimmen und Mayas 1. Schritte ausgelöscht.
Sehr gelungen an diesem Roman ist die Verbindung zwischen „alter“ Welt: ausgestopften Vögel, gespeicherten Vogelstimmen, Dokumentation des Artensterbens und „neuer“ Welt: Datenmengen und Datenmüll, einer zerstörten Umwelt und dem Überlebenskampf der Menschen. Und es geht um Kontrollverlust und Wut. Weibliche Wut, die sich in Gewalt ausdrückt.
Ein wirklich aufrüttelnder Blick in die Zukunft, sehr intensiv und sehr vielschichtig.
Absolut lesenswert.
Nominiert zum Deutschen Buchpreis.