Schuldig im Sinne der Mittelmäßigkeit!
„Es liegt doch in der menschlichen Natur, glauben zu wollen, dass das Sinnlose einen Sinn hat." (Seite 304)
Ella Bermans Before We Were Innocent startet wirklich stark, der Einstieg hat mich direkt gepackt!
Anfangs schien alles klar: Joni, das wilde,
manipulative Mädchen, die offensichtliche Antagonistin und Bess, das brave, stille Opfer. Doch je mehr…mehrSchuldig im Sinne der Mittelmäßigkeit!
„Es liegt doch in der menschlichen Natur, glauben zu wollen, dass das Sinnlose einen Sinn hat." (Seite 304)
Ella Bermans Before We Were Innocent startet wirklich stark, der Einstieg hat mich direkt gepackt!
Anfangs schien alles klar: Joni, das wilde, manipulative Mädchen, die offensichtliche Antagonistin und Bess, das brave, stille Opfer. Doch je mehr man liest, desto mehr verschwimmen diese Schwarz-Weiß-Grenzen und es entwickelt sich das Bild einer zutiefst toxischen Mädchenfreundschaft. Fast schon wie ein Roman gewordener True-Crime-Fall, ich musste zum Anfang hin oft an den Fall von Amanda Knox denken. Diese Ambivalenz ist definitiv ein Pluspunkt der Geschichte.
Trotzdem, wirklich sympathische Figuren sucht man hier vergeblich. Vor allem Bess als Erzählerin ist anstrengend. Ihre permanente Opferhaltung, gepaart mit einer gewissen Rückgratlosigkeit, macht es schwer, mit ihr mitzufühlen. Alles scheint immer an äußeren Umständen zu liegen, nie übernimmt sie echte Verantwortung. Das wirkt irgendwann nicht mehr authentisch, sondern schlicht nervig. Noch problematischer ist, dass sie als Ich-Erzählerin keine verlässliche Perspektive bietet. Immer wieder widerspricht sie sich, stellt Menschen erst in einem Licht dar, nur um später das Gegenteil zu behaupten. Ihre Einschätzungen wirken häufig unstimmig und inkonsequent, als Leserin fragt man sich oft: Bekommt sie überhaupt irgendwas mit? Hier hätte ein Perspektivwechsel oder gar ein allwissender Erzähler vermutlich mehr Klarheit und Tiefe gebracht.
Joni hingegen ist zumindest ehrlich in ihrer Unbeliebtheit. Sie ist ein Mi$t$tück und das meine ich gar nicht mal negativ. Sie macht kein Geheimnis daraus, wer sie ist, und das macht sie fast schon erfrischend. Klar, sie ist das typische "wild child", aber irgendwo auch berechenbar in ihrer Unberechenbarkeit. Ich mochte sie gerade als Teenagerin mehr als Bess auf irgendeiner Zeitebene, weil sie wenigstens kein Blatt vor den Mund nahm.
Ein echtes Mysterium bleibt für mich Ev. Warum sie von allen als „heilig“ angesehen wird, ist mir schleierhaft. In ihren Interaktionen mit den anderen wirkt sie launisch, fast passiv-aggressiv, das lässt wenig Heiligenschein übrig. Diese Wahrnehmung passt allerdings wieder hervorragend zu der wirren Erzählung von Bess.
Der Schreibstil rein vom Lesefluss ist definitiv eine Stärke des Buches. Man kommt schnell rein, alles liest sich flüssig und fast mühelos, schwupsiwups fliegt man durch die Seiten. Auch die Zeitsprünge zwischen „damals“ und „heute“ funktionieren gut, wenn auch das Tempo manchmal etwas schleppend ist. Gerade die Rückblicke in die Teenagerzeit der drei Mädchen sind faszinierend, aber auch frustrierend, selten habe ich eine so toxische Freundesdynamik erlebt. Man fragt sich beim Lesen öfter, wie diese Mädels überhaupt so lange miteinander befreundet sein konnten.
Leider wird das Buch mit der Zeit immer konstruierter und dramatischer. Viele Entscheidungen der Figuren wirken zu gewollt, fast wie auf Stichwort. Zufälle häufen sich, Gedanken und Handlungen sind vorhersehbar. Man bekommt als Leser genau das geliefert, was man erwartet, aber eben auch nicht mehr. Es fehlt an echten Twists oder überraschenden Entwicklungen. Obwohl viele Passagen Tiefe suggerieren, bleiben die Figuren flach. Ihre Motive und Gefühle sind fast schon zu durchschaubar, man kann sich alles vorab denken, bevor es ausgesprochen wird.
Besonders enttäuschend fand ich das Ende (Spoilerfrei!). Nach all dem Drama und den aufgebauten Konflikten kommt da... nichts. Kein Aha-Moment, keine emotionale Belohnung, kein Knall. Es wirkt, als wäre das ganze Buch nur ein Aufwärmen für einen Schluss, der dann schlicht nicht passiert. Vieles, was zuvor wie bedeutungsvoll aufgebaut wurde, verpufft einfach. Da fragt man sich: Wozu das alles?
Fazit: Before We Were Innocent ist ein Roman mit spannendem Thema, einer angenehm lesbaren Sprache und interessanten Dynamiken. Doch trotz des vielversprechenden Anfangs bleibt ein schales Gefühl zurück. Die Figuren sind schwer greifbar und kaum sympathisch, die Handlung wirkt zunehmend konstruiert und das Ende enttäuscht. Es ist ein Buch, das man gut wegschmökern kann, aber bei dem man sich am Ende fragt, ob es das wirklich wert war.