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Henning Mankells früher Roman "Daisy Sisters"
Henning Mankell ist der Mann, der keine Kriminalromane schreibt. Dieses Paradox verwenden jene, die hervorheben möchten, dass dieser Schriftsteller mehr zu bieten hat als einen hochberühmten Kommissar. Er kann viel mehr, sagen sie, weil er seit vier Jahrzehnten an einem Werk arbeitet, das jenseits seines Welterfolgs, jenseits der Wallander-Kriminalromane, auch Theaterstücke, afrikanisch geprägte Prosa, Kinder- und Jugendbücher umfasst. Er will viel mehr, denn seine Serie um den misanthropischen Ermittler steht in der Tradition des schwedischen Kriminalromans und erhebt somit den Anspruch, die soziale Realität kritisch zu beobachten und im Verbrechen zu spiegeln.
Mankell selbst sieht seine Arbeit als Schriftsteller in Schweden und als Theaterprinzipal in Maputo, Moçambique, durch den Kampf um gesellschaftliche Solidarität zusammengehalten. Was aber bleibt von Henning Mankell, wenn er wirklich keinen Krimi schreibt, so wie in dem 1982, einige Jahre vor seinem großen Durchbruch erschienenen Gesellschaftspanorama "Daisy Sisters", das jetzt erstmals ins Deutsche übersetzt wurde? Zwischen den Buchdeckeln finden sich ein ehrliches Bemühen um die treffende Darstellung der schwedischen Lebenswirklichkeit der vierziger bis achtziger Jahre, ein teilnehmender Blick auf die Emanzipation der Frauen und eine große ästhetische Spannungslosigkeit. Der Roman verfolgt in fünf Kapiteln das Ringen von Frauen aus dem Arbeitermilieu um ein eigenständiges Leben. Die gesellschaftliche Kulisse wechselt: von den Kriegsbeben im neutralen Schweden über die Fortschrittsfreude der fünfziger Jahre hin zur Freiheit der Sixties und der bald einsetzenden Krise der Großindustrie. Die Frauen gewinnen nur langsam an Spielraum.
"I Never Promised You a Rose Garden", tönt es aus dem Nachtradio, und das ist bezeichnend für das Schicksal der zwei Protagonistinnen. Mutter Elna gibt ihre Emanzipationshoffnungen, früh und brutal geschwängert, schnell auf und richtet sich in der Enge von Ehe und Tradition ein. Tochter Eivor versucht, sich zu behaupten. Sie möchte herausfinden, was sie selbst vom Leben eigentlich erwartet. Aber die eigene Zögerlichkeit, der Alltag und die Männer hindern sie immer wieder am Nachdenken: Sie bedient stampfende und kreischende Maschinen in einer industriellen Zwirnerei und ist berauscht vom Glück selbstverdienten Geldes. Sie lässt sich mit Männern ein, wird geheiratet und betrogen, übernimmt allein die Verantwortung für drei Kinder, die sie mit Mühe durchbringt. Zuletzt sehen wir sie als Kranführerin hoch oben in einer Fabrikhalle, im Geschlechterkampf inzwischen so erfahren, dass sie es wagt, nach Schichtende die Pin-ups ihrer männlichen Kollegen von den Spindwänden zu reißen.
Die Lebensvollzüge sind oftmals absehbar, und man folgt dem etwas trockenen Realismus wenig gebannt, zumal die Charaktere der beiden Frauen, und auch die ihrer als Gegenbild angelegten viel tatkräftigeren Freundinnen, keine große Nuancierung erfahren. Aber es gibt einen rettenden Reiz in diesem Buch, den Auftritt eines jugendlichen Straftäters, der Eivor für eine Zeit in seinen Kreis bannt. Mit dem Ausbrecher und Totschläger bekommt der Roman etwas Unkalkulierbares, die Figuren handeln überraschend, widersprüchlich, und - darauf hat man heimlich gehofft und die ganze Zeit gewartet -, es wird spannend wie im Krimi.
SANDRA KERSCHBAUMER
Henning Mankell: "Daisy Sisters". Roman. Aus dem Schwedischen von Heidrun Hoppe. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2009. 560 S., geb., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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