Sehr lesenswert
Titus Müller legt in seinem exakt recherchierten, sehr empfehlenswerten Buch „Die Dolmetscherin“ den Focus auf den ersten Nürnberger Prozess, in dem sich die 24 Hauptangeklagten der Planung, der Vorbereitung, der Einleitung und Durchführung eines Angriffskrieges, Verbrechen an
der Zivilbevölkerung und Kriegsgefangenen sowie Massenmord in den Vernichtungslagern zu verantworten…mehrSehr lesenswert
Titus Müller legt in seinem exakt recherchierten, sehr empfehlenswerten Buch „Die Dolmetscherin“ den Focus auf den ersten Nürnberger Prozess, in dem sich die 24 Hauptangeklagten der Planung, der Vorbereitung, der Einleitung und Durchführung eines Angriffskrieges, Verbrechen an der Zivilbevölkerung und Kriegsgefangenen sowie Massenmord in den Vernichtungslagern zu verantworten hatten.
Im Badeort Mondorf-les-Bains, im Großherzogtum Luxemburg, internierte die US-Armee führende Nazi-Größen. Mit Görings Anreise werfen wir einen ersten Blick in das Palace-Hotel, in dem die ersten Verhöre stattfanden. Es war im Mai 1945, kurz nach Deutschlands Kapitulation. Görings Größenwahn kommt durch, er gibt sich auch später, als er nach Nürnberg übergeführt wird, von sich überzeugt, verhöhnt und verachtet die Justiz, führt diese bei jeder sich bietenden Gelegenheit nur zu gerne vor. Er liebt dramatische Auftritte, wähnt sich noch immer – trotz seiner Degradierung - als Hitlers Nachfolger.
Die fiktive Figur Asta ist es, die als Dolmetscherin fungiert. Die gebürtige Deutsche ist in jungen Jahren in die USA ausgewandert, sie beherrscht beide Sprachen perfekt in Wort und Schrift und überzeugt mit ihrem Gespür für sprachliche Feinheiten. Zunächst wird sie in Luxemburg und dann in Nürnberg als Simultandolmetscherin eingesetzt. Ihrer Figur haftet etwas Düsteres an, auch für Geheimdienste ist sie interessant, sie lebt äußerst gefährlich.
Zwischendurch dann ist es Leo, den sie schon in Luxemburg als normalen Kriegshäftling kennenlernt. Ihre Wege kreuzen sich immer wieder, auch er kehrt zurück nach Nürnberg, zu seiner kleinen Familie. Und auch er hat noch eine Rechnung offen, die ihn in riskante Bahnen lenkt.
Titus Müller führt seine Leser von den ersten Verhören in Luxemburg hin zu der Anklage der vier alliierten Mächte, Robert H. Jackson (USA) ist einer der vier Hauptankläger. Die 24 Angeklagten sind hinlänglich bekannt, ich muss sie hier nicht näher bezeichnen. Im Roman allerdings werden uns neben Göring noch etliche der hohen Nazi-Funktionäre in ihren Eitelkeiten und ihrer menschenverachtenden Gesinnung und ihren Taten, die sie vehement leugnen, nähergebracht. Es ist schwer auszuhalten, was diese Massenmörder von sich geben, wie sie sich in ihrer Überheblichkeit auch im Angesicht der drohenden Verurteilung geben.
Und - wir sind im zerbombten Nachkriegsdeutschland. Da ist Leo, der seine Familie in einem Kellerloch wiederfindet. Der Krieg hat nicht nur Städte zerstört, jeder einzelne kämpft ums Überleben. Anhand seines Sohnes und seiner Frau wird die Tragik der Überlebenden offenbart. Und auch Asta hat ein Privatleben, das durch fremde Kräfte in eine äußerst gefährliche Richtung gelenkt wird.
Zunächst haben mich die Hintergründe der Nürnberger Prozesse interessiert. Gelegentlich musste ich innehalten und tief durchatmen, so manch Detail zeigt die inhumane Vorgehensweise der Nazis schonungslos auf. Dennoch will ich es wissen, wie zynisch sie waren, wie barbarisch sie agierten. „Die Dolmetscherin“ ist ein spannender, ein lebendig erzählter historischer Roman, der unsere Geschichte gut lesbar wiedergibt, der gelesen werden sollte.