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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Über den Ursprung des Patriarchats wird schon seit Langem diskutiert: Nun denkt Angela Saini darüber nach
Wenn sich das Buch einer Wissenschaftsjournalistin auf die "Suche nach dem Ursprung männlicher Herrschaft" macht, ist Frau sofort dabei. Es haben sich aber auch viele Männer im Laufe der Kulturgeschichte die Frage gestellt, ob das Patriarchat nur eine zivilisatorische Zeitgeisterscheinung mit längerer Laufzeit ist. Aber selbst die, die sich wie Friedrich Engels ("Das kommunistische Manifest", 1848), der Schweizer Altertumsforscher Johann Jakob Bachofen ("Mutterrecht", 1861) oder der amerikanische Ethnologe Lewis Henry Morgan ("Die Urgesellschaft", 1877) mit dem "matrilinearen Rätsel" beschäftigten, sahen in ihm immer nur die Abweichung von der Regel.
Matrilinearität und Matrilokalität waren für die Patriarchen der Theoriebildung zwar faszinierend, aber letztlich auf ein primitiveres Gesellschaftsstadium zurückzuführen. Dieses mündete, da war man sich einig, zielgenau in die monogame, androzentrische, aber - Achtung! - zivilisierte Frauenkontrolle. Das heißt, die Gesellschaft wurde nach Maß und Bedürfnis von Männern gestaltet. Immerhin nahm Engels den Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat als Zerstörung einer bereits etablierten weiblichen Autonomie war, die "die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts" besiegelte.
Engels' Erzählung sei ebenso mitreißend wie dramatisch, schreibt die britische Autorin Angela Saini jetzt in ihrem Buch "Die Patriarchen" (Hanser Verlag). Bei Engels bedeuteten Ackerbau und Sesshaftigkeit: "Der Mann ergriff das Steuer auch im Hause, die Frau wurde entwürdigt, geknechtet, Sklavin seiner Lust und bloßes Werkzeug der Kinderzeugung." Diese These ist alles andere als unbekannt, was Sainis Buch in der Landschaft der Patriarchatsforschung einigermaßen überflüssig machen würde. Wäre da nicht ihr Ansatz, sowohl die Universalität patriarchalischer Gesellschaftsformen als auch die Universalität der dazugehörenden Verfallsgeschichte des Matriarchats infrage zu stellen. "Das Patriarchat", schreibt Saini, "beginnt wie eine riesige Verschwörung auszusehen, die bis weit in die Vergangenheit zurückreicht." Und diese besagt: "Irgendetwas Schreckliches muss in dunkler Vorzeit geschehen sein, um uns dorthin zu führen, wo wir jetzt sind." Aber stimmt das?
Bei Engels, Bachofen und Morgan war es der zivilisatorische Fortschritt, der es Männern plötzlich ermöglichte, herauszufinden, wessen Kinds Vater sie waren. Das ließ sie langfristig auch über die Ressource Sex verfügen. Um die These vom Untergang matriarchalischer Kulturen durch den zivilisatorischen Fortschritt zu stützen, brauchte es in der Forschung aber natürlich auch immer die Überreste dieser matriarchalischen Kulturen.
Lewis Henry Morgan hatte hier seine Studien über die Haudenosaunee zugrunde gelegt, eine indigene Gesellschaft im Nordosten Nordamerikas, die egalitäre Geschlechterbeziehungen pflegte. Aber auch hier merkt die Autorin an: "Anstatt die Haudenosaunee als eine moderne, lebendige Gemeinschaft von Menschen zu betrachten, deren Regeln für Frauen in mancher Hinsicht besser funktionierten als die anderer Gesellschaften, behandelten Engels und Morgan sie wie lebende Skelettfunde." Die faszinierten auch den Ethnologen William Martin Beaucamp. 1900 schrieb er, dass die Haudenosaunee den Tod einer Frau weitaus mehr beklagten als den eines Mannes, da mit der Frau "die Linie verloren" sei. Frauen würden entsprechend stärker verehrt als Männer.
Das zeigte sich auch an einem sprachlichen Detail. Nach der Kolonialisierung hatten die Haudenosaunee zwar Englisch gelernt, in der für sie neuen Sprache aber die Pronomen für Mann und Frau vertauscht. Sie sprachen "von einem Mann als 'sie' und einer Frau als 'er'". Hier treffen nicht nur Männer- und Frauenzentriertheit aufeinander, sondern auch Kolonisierte und Kolonisatoren. Die Unterdrückung matrilinearer Gesellschaftsordnungen, die sich überall in Afrika, in Süd- und Nordamerika fanden und teilweise noch immer finden, ist also eng verknüpft mit der Geschichte kolonialer Eroberungen.
In der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts sorgte eine Welle archäologischer Durchbrüche verbunden mit feministischer Theoriebildung dann dafür, dass diese Annahme durch eine konkrete Theorie zum Ende des Matriarchats ergänzt wurde. Die litauische Archäologin Marija Gimbutas hatte in den Ruinen von Çatalhöyük in Anatolien geforscht. Sie kam zu dem Schluss, dass Menschen, die vor etwa neuntausend Jahren im Fruchtbaren Halbmond siedelten, friedlich und frauenzentriert lebten - und Göttinnen verehrten. Bis sie, so die jahrzehntelang kontrovers diskutierte These, von gewalttätigen Horden mit patriarchalischen Sitten abgelöst wurden. Diese waren laut Gimbutas aus der eurasischen Steppe gekommen, aus einem Gebiet also, das sich heute von der Ukraine bis zur Mongolei erstreckt. Gimbutas behauptete das freilich, ohne dafür endgültige Beweise in der Hand zu halten.
Saini macht daraus einen kleinen Wissenschaftskrimi, indem sie DNA-Analysen präsentiert. Sie scheinen Gimbutas' Migrationsthese zu bestätigen. Es gibt aber auch Schattenseiten dieser großen Erzählung vom Niedergang des europäischen Matriarchats. Saini zitiert dazu die Archäologin Susanne Hakenbeck von der Universität Cambridge: "Man bietet uns ein verlockend einfaches Narrativ von einer Vergangenheit, die von virilen jungen Männern geprägt war, die auszogen, um einen Kontinent zu erobern, das durch die wissenschaftliche Methode scheinbar legitimiert wurde." Junge virile Männer ohne Impulskontrolle bedrohen Europa? Ein Gespenst geht um in Europa. Vielleicht schon seit dem Neolithikum.
Saini hat für die Recherche ihres Buchs unzählige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit besucht und Interviews mit ihnen geführt. Das mag redlich sein, aber auch einigermaßen bequem, denn es entlastet die Autorin von der Aufgabe, eigene Schlüsse aus ihrem Material zu ziehen. Es lässt sie im Gegenteil nahezu verschwinden hinter der Fülle von sich widersprechenden Aussagen, Lehrmeinungen und Zeitzeugenberichten. So bleibt die Quintessenz dieses Buches im ewigen Wissenschaftsstreit begraben, was aus der Leserin zwangsläufig eine Textarchäologin macht. Die Forschung der vergangenen Jahrzehnte, so pinselt man sich die vielen O-Töne sauber, mündet vor allem in die Erkenntnis, dass unser binäres Denken, das streng in patriarchal-gewalttätig und matriarchal-friedfertig unterteilt, die Komplexität früherer Gesellschaften überhaupt nicht abbilden kann.
"Es gab also nie eine einzige Form der 'patriarchalischen' Gesellschaft, die irgendwie am Ende der Jungsteinzeit in Europa und Asien eingeführt wurde, bevor sie sich über den Rest der Welt ausbreitete", resümiert Saini. Damit ist auch "die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts", die Engels diagnostizierte, kein zivilisationsgeschichtlicher Kometeneinschlag, sondern ein langer, zäher und vielschichtiger Prozess ins Offene.
So endet diese Suche nach den Ursprüngen männlicher Herrschaft auch mit dem etwas sonntagsredenhaften Appell: "Wir haben uns das alles ausgedacht, fast alles, und wir können uns etwas anderes ausdenken." Yes, we can! KATHARINA TEUTSCH
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