Nein, es war kein Traum. Um eine Definition zu wagen, würde ich sagen: Es war eine Idee, die am Rande der Realität existierte.“ S. 569
Ja, lieber Herr Murakami, so habe ich Ihr neues Buch erlebt! Was red ich! Buch! Es ist Ihre WELT, zu der Sie mir gleich auf den ersten Seiten das Tor geöffnet
haben. Es ist nicht mein erster Murakami und es ist, als wäre ich nie fort gewesen. Als hätte ich die…mehrNein, es war kein Traum. Um eine Definition zu wagen, würde ich sagen: Es war eine Idee, die am Rande der Realität existierte.“ S. 569
Ja, lieber Herr Murakami, so habe ich Ihr neues Buch erlebt! Was red ich! Buch! Es ist Ihre WELT, zu der Sie mir gleich auf den ersten Seiten das Tor geöffnet haben. Es ist nicht mein erster Murakami und es ist, als wäre ich nie fort gewesen. Als hätte ich die Stadt mit der Mauer und ihren Torwächtern, mit dem Kirchturm ohne Zeiger, mit der Bibliothek der alten Träume, gerade erst verlassen. Als hätte ich das namenlose Paar, das sich in ihrer jungen Liebe diese Stadt träumt, schon früher gekannt.
Es ist eine zaghafte erste Liebe, der wir begegnen, stark und doch fast transparent. Das wahre ICH der Freundin des 17jährigen Erzählers lebt hinter den Mauern dieser Stadt. Er will es finden, und so macht er sich auf die Suche, lässt seinen Schatten und sein normales Augenlicht vor den Toren zurück, um sich in dieser merkwürdigen Stadt, in der die Zeit keine Rolle spielt, als Bibliothekar der Träume, als Traumleser nützlich zu machen. Er findet sie, aber hier erkennt sie ihn nicht und in dem zeitlosen Raum kommt er ihr nicht so recht nah. Sein Schatten kann ohne ihn nicht überleben. Bevor es kein Zurück mehr gibt, muss er eine Entscheidung treffen.
„In meinem Kopf tobte ein heftiger Kampf zwischen Wirklichem und Unwirklichem. Ich stand jetzt an der Schwelle zwischen den beiden Welten, an der feinen Schnittstelle zwischen Bewusstem und Unbewusstem, und musste mich entscheiden, zu welcher Welt ich gehören wollte.“ S. 179
Er verlässt die Stadt, die Bindung verblasst, doch die Liebe und die Sehnsucht bleiben. Es beginnt eine lebenslange Suche und eine große Reise, die ihn wieder in eine andere Stadt und in eine andere Bibliothek führt.
Der Fluss der Geschichte zieht sich langsam durchs Gelände. Metaphern säumen den Wegesrand, der Held scheint zeitweise selbst zu einer zu werden.In ihm vermischen sich Traum und Wirklichkeit, Realität und Fantasie, die Grenzen zwischen Körper, Geist und Seele lösen sich auf. Oft wiederholen sich Passagen, werden aus anderen Perspektiven erzählt. Langsam, mit viel Zeit und detailliert. Fast ist mir die Reise zu beschwerlich, doch dann erinnere ich mich, wo ich bin und dass ich nie wieder woanders sein möchte und gehe das Tempo mit. Bis zum großen Finale.
Murakami spielt mit unserem Verstand, tanzt mit Worten und Bildern, lässt uns auch ein schelmisches Lächeln sehen, nimmt sich selbst nicht zu ernst. Dieser Roman hat 40 Jahre gebraucht, um zu dieser Größe zu wachsen, wie er im Nachwort ergänzt. Das spüre ich. Er hat alle Register seines Könnens und seiner Einzigartigkeit gezogen. Er hat vielleicht die magischste und philosophischste aller seiner Welten erschaffen. Er hat sich selbst ein Monument errichtet. Ich wüsste nicht, was nun noch kommen sollte und mit einer melancholischen Stimmung schließe ich das Tor.
„Diese Vorstellung versetzte mich in eine seltsame, stille Traurigkeit, die man als metaphysisch bezeichnen könnte und die sich ein wenig von der Traurigkeit über den Verlust eines Lebenden unterschied. Diese Trauer war nicht schmerzhaft. Es war einfach nackte Traurigkeit.“ S. 408
Kann jemand, der noch nie Murakami gelesen hat, mit meinen Worten etwas anfangen? Ist es vielleicht auch kein Murakami für Einsteiger? Eins ist mir wieder bewusst geworden: Man MUSS Murakami lesen und irgendwann MUSS man dann auch DIESEN Murakami lesen.
Sehr empfehlen kann ich auch das Hörbuch, das der preisgekrönte Synchron- und Hörbuchsprecher DAVID NATHAN eingelesen hat. Und nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass wir dank der großartigen Übersetzungen von URSULA GRÄFE den wohl besten deutschen Murakami haben, den man sich vorstellen kann. Großer Dank!