Ich liebe die Hamburg-Dilogien von Miriam Georg und auch Die Verlorene, die teils in Frankfurt und teils in Schlesien spielt, konnte mich begeistern. Es ist die Geschichte der Schwestern Änne und Luise und ihrer Familie.
Frankfurt, 2019: Änne, 93, wird nach einem Sturz bewusstlos ins Krankenhaus
eingeliefert. Ihre Enkelin Laura macht sich große Sorgen. In Ännes Haus findet sie Hinweise darauf,…mehrIch liebe die Hamburg-Dilogien von Miriam Georg und auch Die Verlorene, die teils in Frankfurt und teils in Schlesien spielt, konnte mich begeistern. Es ist die Geschichte der Schwestern Änne und Luise und ihrer Familie.
Frankfurt, 2019: Änne, 93, wird nach einem Sturz bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert. Ihre Enkelin Laura macht sich große Sorgen. In Ännes Haus findet sie Hinweise darauf, dass sie Erlebnisse aus ihrer Kindheit in Schlesien verschwiegen hatte. Lauras Mutter Ellen: „Aber ab und an hatte es Änne gepackt, und sie hatte von Schlesien geredet. Davon, wie sie die Pferde im Fluss baden ließen, wie die Kartoffelfeuer rochen, wie die Pirole in den Baumwipfeln umherhüpften, wie die Pappeln rochen. Nur die Menschen waren in diesen Erzählungen immer so blass geblieben.“
Laura beschließt nach Schlesien zu fahren und dort nach dem Pappelhof zu suchen, der bis zum Jahr 1945 Ännes Familie gehört hatte.
Schlesien, 2019: Der Pappelhof liegt abgelegen zwischen Oppeln und Gleiwitz. Aus dem Haus soll demnächst ein Hotel werden, und Laura ergreift die Chance, im Haus ihrer Vorfahren zu übernachten.
In Rückblenden in die 1930er und 1940er Jahre lernen wir Familie Thomke kennen: Großmutter Jula, Vater Hermann, Mutter Hela und die Kinder Erich und Gabriel, Änne und Luise. Auf dem Pappelhof werden Pferde gezüchtet, die Thomkes beschäftigen viele Arbeiter, um den Hof bewirtschaften zu können.
Änne und Luise, beide Jahrgang 1926, sind als Kinder unzertrennlich und besonders Änne hängt sehr an ihrer Schwester. Ein Leben ohne Luise ist für sie unvorstellbar. Aufgrund einer Erkrankung muss sich Änne vor den Nazis verstecken, sie leidet Höllenquallen als sich Luise verliebt und ihre Zeit lieber mit Karl als mit ihr verbringt.
Schlesien bleibt weitgehend vom Krieg verschont, allerdings werden Erich und Gabriel eingezogen, und dem Pappelhof werden Fremdarbeiter und Kriegsgefangene zugewiesen. Nach der Potsdamer Konferenz wird Schlesien Polen zugeteilt, der Pappelhof wird enteignet, eine polnische Familie zieht ein, die Thomkes haben die Wahl: In den Westen ziehen oder bleiben und in eine Arbeiterwohnung über dem Stall ziehen. Luise will nicht weg, sie wartet auf ihren Geliebten, also bleibt auch Änne. Der Hof wird zuerst von russischen, später von polnischen Soldaten besetzt.
Es ist das persönlichste Buch der Autorin, sie hat es ihrem Großvater Karl Georg gewidmet, der auf der Krim stationiert war und viele Jahre in russischer Gefangenschaft verbracht hatte. Der Krieg hat ihn stark verändert, seine Erinnerungen hat er aufgeschrieben, und die Kapitel im Buch, die aus Karls Perspektive geschrieben sind, sind von seinen Manuskripten inspiriert. Die Geschichte der Vertreibung ist an die Erinnerungen ihrer Großmutter angelehnt.
Im Nachwort schreibt die Autorin, dass sie in diesem Roman die Geschichte ihrer Familie verarbeitet hat und die Frage „wie innere Wunden und Traumata über Generationen hinweg weitergegeben werden. Ich wollte eine Erzählung erschaffen, die die kollektive Erfahrung von Verlust und Identität thematisiert.“
Der Roman ist spannend und berührend, ich konnte ihn kaum aus der Hand legen. Er hat mich zum Nachdenken angeregt, nicht nur über die tragische Geschichte der beiden Schwestern, sondern auch über die verheerenden Folgen von Krieg, Flucht und Vertreibung, die nicht nur die Kriegsgeneration, sondern auch deren Nachfahren betreffen.