Kunstdozent Anton staunt nicht schlecht, als Student Egidius de Blaeser, genannt Dius, vor seiner Tür steht und nicht nur um Einlass bittet, sondern auch um die Freundschaft des zehn Jahre älteren Mannes. Dius will Anton ein konzentriertes Arbeiten an seiner Dissertation ermöglichen und bietet ihm
deshalb die Chance, in einem Atelier fernab der Stadt daran zu arbeiten. Der Dozent ist überwältigt…mehrKunstdozent Anton staunt nicht schlecht, als Student Egidius de Blaeser, genannt Dius, vor seiner Tür steht und nicht nur um Einlass bittet, sondern auch um die Freundschaft des zehn Jahre älteren Mannes. Dius will Anton ein konzentriertes Arbeiten an seiner Dissertation ermöglichen und bietet ihm deshalb die Chance, in einem Atelier fernab der Stadt daran zu arbeiten. Der Dozent ist überwältigt von der Natur rund um das Gutshaus und überrascht von Dius und dessen seltsamer Aura. Welches Geheimnis verbirgt der Student, wenn er sich allein auf den Dachboden zurückzieht, um sich der Kunst zu widmen?
"Dius" ist der neue Roman von Stefan Hertmans, der in der Übersetzung aus dem Niederländischen von Ira Wilhelm bei Diogenes erschienen ist. Genau wie im Vorgängerroman "Der Aufgang" geht es auch in "Dius" um ein bemerkenswertes Gebäude und dessen Ausstrahlung. Doch während Hertmans im "Aufgang" noch autofiktional die bewegte und bewegende Geschichte seines erworbenen Stadthauses erzählte, siedelt er die Geschichte rund um die Männerfreundschaft zwischen Anton und Dius diesmal Anfang der 1980er-Jahre auf dem flämischen Land an.
Positiv ins Auge sticht dabei zunächst die elegante Sprache. Mit elegischer Langsamkeit widmet sich Hertmans der bildhaften Beschreibung von Mensch, Haus und Natur, bei dem der Leser sich fast selbst in einem Gemälde wähnt. "Was bedeutet es eigentlich, poetisch zu leben?", fragt sich Ich-Erzähler Anton zu Beginn des Romans und sein auf den folgenden Seiten dargestellter erster Blick auf das Dorfhaus wirkt beinahe mythologisch. Auch Dius, dessen Name natürlich nicht von ungefähr dem allmächtigen Deus ähnelt, ist nicht nur für Anton ein Faszinosum. "Ich möchte Ihr Freund sein", überrumpelt er Anton und welcher Erwachsene wagt es schon, eine solch unvermittelte Aussage zu treffen. Unangepasst, wild, schön und geheimnisvoll - manchmal glaubt man, eine leicht homoerotische Note in Antons Beschreibungen zu lesen. Man schaut sich noch einmal das schöne Cover des Buches an und seufzt.
Eine große Freude ist zunächst auch der Umgang mit Kunstwerken aller Art. Denn Anton und Dius sind nicht nur selbst Freunde der schönen Künste, auch die Leserin sollte ein grundlegendes Interesse daran haben. Was ist eigentlich das Problem an den Hundedarstellungen des Malers Vittore Carpaccio? Und ist die hochgezogene Leiter zum Dachboden die einzige Gemeinsamkeit zwischen Jacopo da Pontormo und unserem Dius? Man beugt sich interessiert über sein Smartphone und schaut sich die entsprechenden Kunstwerke an. Begleitend dazu lauscht man einem klassischen Soundtrack, denn auch die Musik durchzieht "Dius" über weite Strecken.
Problematisch ist, dass es nur sehr wenige Stellen im Text gibt, die die Handlung und Figuren wirklich voranbringen. Einmal gerät Anton in einen schweren Autounfall, in dessen Folge Dius ihm das Leben rettet. Ein anderes Mal unterläuft einer der beiden Männerfiguren ein schwerwiegender Verrat, der alles auf den Kopf stellen könnte. Tut er aber nicht. Stattdessen ergötzt sich Hertmans zunehmend an intellektuellem Namedropping. Welcher Komponist wurde noch nicht erwähnt? Und welche Eigenheit hatte nochmal jener Maler? Man hat das Smartphone mittlerweile längst weggelegt, ein Klingeln könnte den sanften Schlaf stören, in den man bei der Lektüre zu verfallen droht. Das ist außerordentlich schade, denn sprachlich leuchtet "Dius" weiterhin in den schönsten Farben.
Über die Frauenfiguren müssen wir eigentlich kaum ein Wort verlieren, sie sind nur Beiwerk dieser seltsamen Männerfreundschaft. Anton lässt seine Frau Nouka widerstandslos ziehen, seine Geliebte Lys ist halt seine Geliebte und diese junge Pia scheint die Freundschaft mit ihrem Interesse an Dius auch nur zu stören. Anton wird zudem immer unausstehlicher, sein permanentes Wehklagen überträgt sich unmittelbar auf den Leser, der den Roman irgendwann nur noch beenden möchte. Und dann auch noch auf Seite 198 das Missgeschick "jedem das Seine", vielleicht ein Übersetzungsproblem? Man greift dann doch noch einmal zum Handy und checkt kurz die Anzahl der Seiten: 340. Ist man dann schlussendlich auf den letzten Seiten angekommen, stellt sich eine gewisse Erleichterung ein. Darüber, dass man das Buch zuschlagen kann und natürlich auch darüber, dass das Finale an den guten Beginn anschließt.
2,5/5