Lise Mundus ist eine erfolgreiche preisgekrönte Kinderbuchautorin mit drei Kindern, einem Mann, einem Haus, einer Haushaltshilfe, die bei ihnen lebt – also einer von den Menschen, über die man gerne sagt, dass sie alles haben. Aber wie so oft sieht es hinter der Fassade anders aus, die Ehe läuft
nicht gut, ihr Mann geht fremd und Lise verliert nicht nur die Motivation, zu schreiben, sondern auch…mehrLise Mundus ist eine erfolgreiche preisgekrönte Kinderbuchautorin mit drei Kindern, einem Mann, einem Haus, einer Haushaltshilfe, die bei ihnen lebt – also einer von den Menschen, über die man gerne sagt, dass sie alles haben. Aber wie so oft sieht es hinter der Fassade anders aus, die Ehe läuft nicht gut, ihr Mann geht fremd und Lise verliert nicht nur die Motivation, zu schreiben, sondern auch den Bezug zur Realität. Die Gesichter der Menschen um sie herum verformen und vertauschen sich, sie hört Stimmen, fühlt sich von ihrer eigenen Familie bedroht. Der beste Ausweg, so scheint ihr, ist, sich in eine Klinik einweisen zu lassen, wo sie sich vor den bösartigen Absichten ihrer Familie sicher fühlt.
Aber die Stimmen und Halluzinationen verfolgen sie auch dort, schallen aus Luftschächten, Rohren und Kopfkissen und verwandeln die Pfleger und Ärzte in Feinde, die ihr nach dem Leben trachten. Doch im Laufe des Aufenthalts in der Psychiatrie muss sich Lise auch der Frage stellen, inwieweit nicht gerade ihre Krankheit ihr auch die Zuflucht und Sicherheit bietet, die ihr im Leben draußen zu fehlen scheint.
„Gesichter“ war mein erster Roman von Tove Ditlevsen. Die „Kopenhagen-Trilogie“ war mir zwar ein Begriff, aber gewusst habe ich weder über die Autorin noch über ihr Werk irgendetwas, auch nicht, dass die Geschichte auf ihren eigenen Erfahrungen beruht. Und so habe ich mich anfangs ein wenig schwergetan, nicht gewusst, womit ich gerade konfrontiert werde, kafkaeskem Surrealismus, Metaphern, einem Alptraum? Mitten rein wird man als Leser geworfen in die psychotische Welt der Lise Mundus und bei mir hat es eine Weile gedauert, bis ich das verstanden habe. Trotzdem war der Sog von Anfang an unglaublich stark, schnell sind die Grenzen zwischen Realität und Wahn auch für mich als Leser verschwommen, wurde ich unsicher, was ich glauben kann und soll, und was nicht. Die Atmosphäre, die Ditlevesen dabei schafft, ist dicht und erdrückend, macht einem das Atmen schwer und das Grauen, das Lise empfinden muss, spürbar. Und paradoxerweise ist es genau dieses Unwohlsein, dass einen in und durch den Roman trägt. Es ist kein ganz passender Vergleich, weil beide Werke so unterschiedlich sind, aber ich habe mich an „Ein wenig Leben“ von Hanna Yanagihara erinnert gefühlt, den einzigen anderen Roman, der mir einfällt, der mich auf ähnliche Weise gefesselt hat, obwohl er teilweise auf eine mir unerklärlich großartige Weise schwer zu ertragen war.
Es ist schwer, diesem Buch in einer Rezension gerecht zu werden. Die Lektüre ist ein geradezu physisches Erlebnis, das man erfahren, aber schlecht beschreiben kann. Ein Buch, das sicher nicht für jeden geeignet ist, fast möchte ich eine der derzeit so beliebten Trigger-Warnungen aussprechen. Aber noch lieber eine Leseempfehlung.