Bettina Flitner ist bislang vor allem als Fotografin in Erscheinung getreten, manchen ist sie vielleicht auch als Frau an der Seite von Alice Schwarzer bekannt. Nun hat Flitner ihr erstes literarisches Buch veröffentlicht, ein Memoir, in dem ihre ältere Schwester eine zentrale Rolle spielt. Die
Schwester, die jahrelang unter Depressionen litt und ihr Leben durch Selbstmord beendete, ebenso wie die…mehrBettina Flitner ist bislang vor allem als Fotografin in Erscheinung getreten, manchen ist sie vielleicht auch als Frau an der Seite von Alice Schwarzer bekannt. Nun hat Flitner ihr erstes literarisches Buch veröffentlicht, ein Memoir, in dem ihre ältere Schwester eine zentrale Rolle spielt. Die Schwester, die jahrelang unter Depressionen litt und ihr Leben durch Selbstmord beendete, ebenso wie die Mutter 33 Jahre zuvor.
Die beiden Schwestern müssen nicht nur mit dem Suizid der Mutter klar kommen, sondern auch damit, den Erwartungen des Vaters an ihre beruflichen Laufbahnen nie zu genügen. Überhaupt ist das familiäre Umfeld schwierig. Die Eltern sind linksliberale Bildungsbürger und haben wechselnde Liebschaften. Es war zwar die Zeit der Hippies, der sexuellen Revolution und der freien Liebe, doch so wirklich frei schienen sie nicht - Eifersucht prägte den Alltag. Zwar suchte man dies vor den Töchtern zu verbergen, in dem die Eltern Krisengespräche auf Französisch führten, aber die Kinder bekamen die Spannungen natürlich dennoch zu spüren. Auch das Verhältnis zu den Großeltern war alles andere als herzlich, waren diese doch voller althergebrachter Standesdünkel und sehr autoritär.
Bettina Flitner macht all dies - und noch vieles mehr - mit ihrem literarischen Debüt öffentlich. Vorwürfe findet man dabei erstaunlich wenige, oft nur in Andeutungen. Nein, dies ist keine Anklageschrift, sondern der Versuch der Autorin, durch möglichst nüchternes Erzählen die eigene Geschichte besser zu verstehen. Und doch ist der Text sehr bewegend, auch wenn es manch langatmige Passage gibt. Überdies beschlich mich mehr als einmal das unangenehme Gefühl, unerlaubterweise in einem fremden Tagebuch zu lesen. Vermutlich deshalb, weil Flitner nichts verfremdet oder anonymisiert, sondern alle Familienangehörigen bei vollem Namen nennt. Einzig Susanne wird von ihr fast durchgängig als "meine Schwester" benannt, ganz als ob die Autorin bei aller Offenheit doch einen Rest an Distanz wahren möchte.
Sprachlich ist der Text recht solide, die Sätze sind oft knapp, ruhig, unprätentiös. Insgesamt überzeugt mich die Form nicht ganz so wie der Inhalt. Die Erzählung wirkt auf mich, als ob Tagebücher etwas überarbeitet und für die Öffentlichkeit aufpoliert wurden. Die wenigen Metaphern sind nicht sonderlich originell, etwa die Darstellung der Depression als schwarze Raben, die die Kranke umflattern.
Aber "Meine Schwester" ist ein Buch, das mich berührt hat. Nicht zuletzt dadurch, dass sich Flitner auf die Suche nach Antworten begibt und es zugleich aushält, dass einige Fragen offen bleiben. Und darin liegt, bei aller Tragik, auch ein gewisser Trost.