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Straff: Max Goldts Kolumnen Von Rose-Maria Gropp
Max Goldt ist nicht zu fassen, und "QQ" ist eine Boshaftigkeit von Graden und Gnaden. Gerade hat uns Google unter QQ Seitenmassen in den Laptop geschmissen, gefüllt mit chinesischen Schriftzeichen. Nichts ist zu verstehen, also ist Ruhe. Max Goldts Deutung geht da richtig in Richtung quiet quality, als "stille Güte" transkribiert der Vorspann den Titel "QQ". Was verschlägt's da, wenn auf QQ angeblich ständig zehn Millionen Leute online quasseln? Edle Einfalt, stille Größe, sagen wir nur. Und Max Goldt ist groß, gütig nicht und still auch nicht. Gerade weil er nicht ständig auf der Höhe seiner Möglichkeiten arbeitet in den zweiundzwanzig versammelten Kolumnen aus dem Satiremagazin "Titanic", weil auch er sich manchmal verheddert, kapiert man die Fallhöhe, die der Mann vorgibt.
Er hat eine eingebaute Gedächtnismaschinerie, unhierarchisch sortierte Synapsen greifen ineinander: Max Goldt muss da nur ein hartes verklebtes Bonbon reinwerfen, das dem Kinde einst die alte bucklichte Frau Rem geschenkt hat, und dann geht's los. Nein, keine Madeleine und kein Déjà-vu mit langem Atem für verlorene Zeit, schartige Bruchstücke sind seine Dosis, nach dem Prophylaxe-Gemetzel bei der Zahnärztin gerät dem erwachsenen Manne "Der Amethyst" zur Hommage an die Erinnerungsdroge: "Vorbei an sich recht rhythmisch mit Gitterzäunen und Ligusterhecken abwechselnden Jägerzäunen ging ich, behutsam ein zu großes Bonbon lutschend, heim. Ein solches Produkt urvorzeitlicher Zuckersiederei war dermaßen scharfkantig, dass sein Aroma gar nicht anders konnte, als sich mit demjenigen des Blutes dessen, der lutschte, zu mischen. ,Gehst du zu Frauen, vergiss die Peitsche nicht!' - dieses literarische Zitat kannte ich in jenen Jahren noch nicht." Man muss so eine Passage laut lesen, um das fabelhafte Sich-Heben und Senken der Silben und Vokale zu genießen.
Diese Prosastücke blenden ständig rationale Verknüpfungen aus. Der Leser soll das nicht merken, weil sich Max Goldt den Leser ohnehin lieber vom Hals hält, er will nicht dessen zudringliche Komplizenschaft, gemeinsamer Erfahrungshorizont und so. Noch nicht einmal in einem Fall wie "Prekariat und Prokrastination", wo er diese unerwartete Dyade, jetzt im Gegenzug, sinnvoll stiftet. Ein Satz wie "Und wird nicht auf allen Ebenen unentwegt prokrastiniert?" ist sein äußerstes Identifikationsangebot, beim letzten Schrei zum allfälligen Thema Trödeln. Wir glauben außerdem, Herr Goldt ist ein Misogynist. Das Wort gibt's im Deutschen nicht, aber es ist ja ganz offensichtlich nötig und ließe sich eventuell in unsere lebende Sprache schubsen und dann so preisen, wie Goldt das Wort "Rohlingsspindel" in der Bravournummer "So machen es die klugen Sprachen" preist.
Der Tonus von Max Goldts Grundaggressivität schwingt ausgesprochen straff. Seine Kunst ist, dass er sich nicht etwa zum Gegenstand, den er sich vornimmt, hinabbeugt, sondern (meistens) über die Sprachbeherrschung verfügt, das Objekt seiner Betrachtung auf Augenhöhe zu sich heranzuziehen. Deshalb nimmt das intelligente lesende Wesen diesem Autor freudig (fast) jeden Quatsch ab, jede böse Sottise noch mit Lust. Es ist die Kraft der Form, und manchmal ist da die Trauer, die Verzweiflung vielleicht. Am Ende bedeutet "QQ" doch das weinende Äugleinpaar der Elektropost und Kurzbotschaften, der gebrechlichen Einrichtung der Welt wegen.
Max Goldt: "QQ". Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2007. 155 S., geb., 17,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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