Kirchhoffs jüngster Roman lässt mich sehr ambivalent zurück. Einerseits ist da die fraglos beeindruckende sprachliche Brillanz des Romanciers. Seine atmosphärischen Beschreibungen der hochsommerlichen Hitze am See, die sich letztlich in einem Gewitter entlädt, das biblische Ausmaße annimmt, das ist
durchaus großes Kino. Diese Naturbeschreibungen sind zweifelsohne stark und dicht, und man spürt…mehrKirchhoffs jüngster Roman lässt mich sehr ambivalent zurück. Einerseits ist da die fraglos beeindruckende sprachliche Brillanz des Romanciers. Seine atmosphärischen Beschreibungen der hochsommerlichen Hitze am See, die sich letztlich in einem Gewitter entlädt, das biblische Ausmaße annimmt, das ist durchaus großes Kino. Diese Naturbeschreibungen sind zweifelsohne stark und dicht, und man spürt förmlich die aufgeladene Luft, die über der Landschaft liegt. Doch hier beginnt auch das Problem: Kirchhoff zieht eine sehr plakative Verbindung zwischen den Naturereignissen und den inneren Zuständen seines Protagonisten Schongauer, einem alten, zurückgezogen lebenden Mann, der nach dem Tod seiner Frau mit seinem Hund in Isolation lebt.
Diese Parallelen wirken mitunter zu erzwungen, besonders deutlich in der Szene, in der während eines tobenden Gewitters plötzlich eine sexuelle Begegnung zwischen Schongauer und einer deutlich jüngeren Journalistin stattfindet. Diese Symbolik, die zu stark aufgeladen wirkt, könnte man als Holzhammer-Methode bezeichnen – es fehlt an subtilen Nuancen, und das überdeutliche Ineinandergreifen von äußeren und inneren Ereignissen wirkt manchmal schlicht übertrieben.
In Bezug auf die Handlung bleibt vieles unbefriedigend: Die Motivation der Journalistin, ausgerechnet Schongauer interviewen zu wollen, bleibt nebulös, ebenso wie ihr sexuelles Interesse an ihm. Immer wieder hatte ich den Eindruck, dass es sich weniger um eine nachvollziehbare Entwicklung der Figuren handelt, sondern eher um eine Projektion von Wünschen und Vorstellungen des Autors. Die biografischen Ähnlichkeiten zwischen Kirchhoff und seinem Protagonisten sind nicht zu übersehen, was den Verdacht aufkommen lässt, dass hier Altherrenfantasien eine literarische Bühne erhalten haben.
Die zweite weibliche Figur, eine junge und attraktive Reisebloggerin, die ebenfalls in Schongauers Leben tritt, trägt weiter zu dem Eindruck bei, dass die Darstellung der Frauenfiguren im Roman stereotyp und übermäßig idealisiert ist. Die Tatsache, dass sie sich auf Anhieb mit dem griesgrämigen Schongauer versteht, wirkt ebenso unglaubwürdig wie die plötzliche Ferndiagnose von Herzproblemen durch den Ehemann der Journalistin via Telefon.
Trotz der Vielzahl an literarischen und künstlerischen Anspielungen, die den Text durchziehen, vermag auch dieser intertextuelle Reichtum den Roman nicht zu retten. Kirchhoffs Interpretation der "Versuchung des Heiligen Antonius" als ewige Bedrohung des Mannes durch das Weibliche erscheint dabei einseitig und misogyn.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Kirchhoff sprachlich zwar brilliert und eine dichte Atmosphäre zu schaffen weiß, jedoch inhaltlich nicht überzeugt.Kirchhoff hat einmal erklärt, es gehe ihm beim Schreiben „stets um eine Versöhnung von Sexualität und Sprache“. Nun, für mich ist diese Versöhnung hier leider nicht gelungen, stattdessen bleibt der Eindruck eines larmoyanten alten Mannes, der im Grunde die weibliche Psyche nicht versteht und sie daher auf klischeehafte Muster reduziert.