Mama! Jetzt reicht es aber!
Katja Früh war bisher als Schweizer Schauspielerin, Regisseurin und Dramaturgin bekannt, jetzt ist sie auch Schriftstellerin geworden. Sie ist nur ein Jahr älter als ich und hat mit „Vielleicht ist die Liebe so“ doch recht spät ihr Erstlingswerk vorgelegt. Sie erzählt
die tragikomische Geschichte von Anja und ihrer Mutter in der Ich-Form, so dass sich beim Lesen…mehrMama! Jetzt reicht es aber!
Katja Früh war bisher als Schweizer Schauspielerin, Regisseurin und Dramaturgin bekannt, jetzt ist sie auch Schriftstellerin geworden. Sie ist nur ein Jahr älter als ich und hat mit „Vielleicht ist die Liebe so“ doch recht spät ihr Erstlingswerk vorgelegt. Sie erzählt die tragikomische Geschichte von Anja und ihrer Mutter in der Ich-Form, so dass sich beim Lesen schnell eine geradezu persönliche Nähe aufbaut. Anja ist Mitte 40, war einmal Schauspielerin und arbeitet nun in einer Bar. Das Verhältnis zu ihrer dominanten Mutter ist „mittelprächtig“, am besten immer dann, wenn sie ihrer Mutter zustimmt. Mutter-Tochter-Verhältnisse sind nicht selten sehr emotional und nervenaufreibend, was aber Anja widerfährt, das ist schon recht ungewöhnlich. Die von mir gewählte Überschrift ist ein Zitat aus dem Kapitel 44.
Ihre Mutter teilt Anja bei einem gemeinsamen Essen lakonisch mit, dass sie gedenkt, am 18. Februar um 16 Uhr Suizid zu begehen, begleitet natürlich von Ärztin und Anwalt. Alles sei entschieden, da gibt es nichts mehr zu diskutieren. Sagt die Mutter. Anja ist dermaßen schockiert, dass ihr eigenes Gleichgewicht von dieser Minute an noch gestörter ist, als es das schon vorher war. Sie ist in psychiatrischer Behandlung, nimmt Medikamente gegen Schlaflosigkeit, Depressionen und Angstzustände. Nun kämpft sie nicht nur gegen all diese Beschwerden, sie versucht auch die Panik zu beherrschen vor jenem ominösen Datum. Als sie erkennt, dass sie die Mutter nicht umstimmen kann, beruhigt sie sich etwas und ist auch zu kleinen Hilfsdiensten bereits. Nur der von der Mutter geforderte Tod des Hündchens Anton geht ihr nicht so leicht von der Hand. Sie sucht sich Hilfe an der unsichersten Stelle ihres Lebens, bei ihrem Ex-Lover und Immer-noch-Freund Carlos. Freiwillige moralische Unterstützung erfährt sie eher in der Bar, von Stammgästen wie vom Personal. Aber erst Nelly, die engste und langjährigste Freundin der Mutter, kann ihr etwas Trost und Ruhe spenden.
Anja ist geplagt von Schuldgefühlen, nicht nur in Hinsicht auf ihre Mutter, sondern auch auf ihren Vater, der viel zu früh und als Alkoholiker verstarb. Die Mutter übergeht jegliches Bemühen von Anja, sich über alles, was sie bedrückt, auszusprechen. Später wird sie in Benjamin, dem Sohn von Nelly, endlich jemanden finden, der länger als zehn Minuten zuhört. Mehr zum Inhalt will ich nicht preisgeben. Es geht noch recht abwechslungsreich zu, das kann ich verraten.
In Anja kann ich mich an mancher Stelle sehr gut hineinversetzen, gerade die Auseinandersetzung mit dem (geplanten) Suizid eines geliebten Menschen ist höchst emotional. Es ist eine Tatsache, dass man so manchem, der es versucht hat und gegen seinen Willen gerettet wurde, sehr gegönnt hätte, friedlich zu sterben. Bei Anja ist das Gegenteil der Fall, ihre Mutter ist nicht sterbenskrank oder dement, sie will es nur nicht erleben. Dieser exzessive Hang zur Selbstbestimmung ist ungewöhnlich, aber ich kann ihn nachvollziehen. Da Anjas Mutter offensichtlich zu Exzentrik neigt, war der Satz „Ich liege im Sarg und will dabei nicht aussehen wie eine Hausfrau aus Buxtehude.“ tatsächlich so etwas von befreiend, ich konnte mir diese Frau vorstellen wie eine Filmdiva, schick, mit Zigarettenspitze und langem Kleid, immer auf Aufmerksamkeit bedacht. Und musste doch lachen. Da wollte sie wohl am Ende nichts dem Zufall überlassen. Wie ihr das gelingt, ist köstlich zu lesen und traurig zugleich.
Anja wird ein ganzes Buch lang als eine nicht mehr ganz junge Frau mit fürchterlichen Minderwertigkeitskomplexen gezeichnet. Aber die Formulierung „… und ich fühlte mich gemeint …“, die hätte sich die Autorin gern sparen können. Diese Talk-Show-Attitüde ist doch sehr abgedroschen. Viele Mal kommt in der einen oder anderen Form zum Ausdruck, dass, wenn sie, Anja, anders wäre, wäre alles gut. Aber so einfach ist es nicht. Auch das ständige Wiederholen, dass sie sich bei Nelly immer viel wohler und willkommener als bei ihrer Mutter gefühlt hat, ging mir etwas auf die Nerven. Hier hätte das Lektorat ab und an noch kürzen können, um den notwendigen Spannungsbogen nicht so zu überdehnen.
Ich habe das E-Book gelesen, kann deshalb zur Typografie nichts schreiben. Das Cover ist ansprechend, der Orange-Ton des kleinen Schmuckkissens hat eine beruhigende Wirkung, man muss nicht gleich aufs Schlimmste gefasst sein, wenn man zu diesem Buch greift. Und doch ist da eine Leerstelle, es fehlt eine Perle zur Symmetrie. Vielleicht ist die Liebe so.
Fazit: Ein Roman, der eine Geschichte erzählt, die so oder ähnlich überall passieren könnte. Dem Thema betreuter Suizid wird ein wenig der Mantel des Schreckens genommen. Lesenswert, aber ein bisschen langgezogen.