INTERVIEW ANDREAS PFLÜGER
Nina Winter, alias Elsa Opel, ist die Hauptfigur in „Wie Sterben geht“. Was ist Nina für ein Mensch, was treibt sie an – in fünf Worten? Mut. Angst. Freundschaft. Bedingungslosigkeit. Hoffnung.
Die Welt der Geheimdienste fasziniert viele Menschen. Warum fasziniert sie Andreas Pflüger? Es ist ein Kompendium menschlicher Leidenschaften und Abgründe. An den Schaltstellen sitzen Männer, manchmal auch Frauen, die „Moral“ im Duden nachschlagen müssten. Vordergründig gesehen spielen sie ein Spiel, aber eins, bei dem das eigene Leben und das von anderen als Einsatz dient. Wie beim Schach werden Figuren geopfert, mitunter gar die Dame. Mit allen Mitteln wird versucht, den Gegner zu dominieren, ihm den eigenen Willen aufzuzwingen. Im Roman lasse ich Nina Winters Ausbilder sagen: „Wir führen Krieg mit unserem Verstand. Es geht darum, in den Kopf des Feindes einzudringen, nicht in seine Tresore.“ Genau das versuche
ich auch als Autor bei meinen Figuren. Ist Romaneschreiben also eine Art Krieg? Ja, manchmal.
„Pullach war so tot wie ein überfahrenes Eichhörnchen“, ist so ein Pflüger-Satz. Wie gut…mehr INTERVIEW ANDREAS PFLÜGER
Nina Winter, alias Elsa Opel, ist die Hauptfigur in „Wie Sterben geht“. Was ist Nina für ein Mensch, was treibt sie an – in fünf Worten?
Mut. Angst. Freundschaft. Bedingungslosigkeit. Hoffnung.
Die Welt der Geheimdienste fasziniert viele Menschen. Warum fasziniert sie Andreas Pflüger?
Es ist ein Kompendium menschlicher Leidenschaften und Abgründe. An den Schaltstellen sitzen Männer, manchmal auch Frauen, die „Moral“ im Duden nachschlagen müssten. Vordergründig gesehen spielen sie ein Spiel, aber eins, bei dem das eigene Leben und das von anderen als Einsatz dient. Wie beim Schach werden Figuren geopfert, mitunter gar die Dame. Mit allen Mitteln wird versucht, den Gegner zu dominieren, ihm den eigenen Willen aufzuzwingen. Im Roman lasse ich Nina Winters Ausbilder sagen: „Wir führen Krieg mit unserem Verstand. Es geht darum, in den Kopf des Feindes einzudringen, nicht in seine Tresore.“ Genau das versuche ich auch als Autor bei meinen Figuren. Ist Romaneschreiben also eine Art Krieg? Ja, manchmal.
„Pullach war so tot wie ein überfahrenes Eichhörnchen“, ist so ein Pflüger-Satz. Wie gut kennen Sie die BND-Zentrale?
So gut es jemandem möglich ist, dem erlaubt wurde, das Pullacher Camp zu besuchen. Das war im September letzten Jahres – und eine ungewöhnliche Geste für einen Dienst, bei dem Geheimhaltung fast religiöse Züge trägt. Ich stand in einem Atombunker aus den Sechzigern, im früheren Schlafzimmer von Martin Bormann (nach dem Krieg Amtszimmer aller BND-Präsidenten) und im Büro meiner Romanheldin Nina. Aber das alles ist ja nur die äußere Hülle. Viel wichtiger war, sich in die Zeit hineinzufühlen, sich vorzustellen, wie dieser seltsame Ort, an dem noch die Gespenster der braunen Vergangenheit hausen, die Menschen geformt hat, die dort ihre gefährlichen Schachzüge geplant haben.
In all Ihren Büchern wird sehr klar, dass Sie bis ins kleinste Detail recherchieren. Wie schwer ist es, danach die Freiheiten zu nutzen, die Sie als Autor haben?
Recherche gehört zum Handwerk, sie ist die Grundvorrausetzung, ohne die meine Romane nicht möglich wären. Ich habe das nie als Beschränkung empfunden, im Gegenteil: Recherche macht mich erst frei in meinem Erzählen. Um fliegen zu können, müssen wir wissen, warum die Luft uns trägt, und manchmal breitet auch die Wirklichkeit ihre Schwingen aus. Menschen, die wirklich gelebt und gewirkt haben, treten in meinen Büchern genauso auf wie erdachte Personen. Ich mache da keine großen Unterschiede, denn in einer literarischen Erzählung wird jeder Mensch zwangsläufig zu einer Erfindung.
Ihr Wissen um Geheimdienste ist enorm. Was mussten Sie für „Wie Sterben geht“ neu recherchieren und was hat Sie bei der Recherche überrascht?
In der Welt der Geheimdienste bin ich seit meinem ersten Roman „Operation Rubikon“ zuhause. So wie ein Maurer nicht jedes Mal neu lernen muss, wie man eine Wand hochzieht, habe ich mein Rüstzeug parat, wenn ich über Spionage und Gegenspionage schreibe. Für „Wie Sterben geht“ habe ich mich allerdings noch einmal gezielt mit Struktur und Methodik des KGB in den Achtzigern beschäftigt. Und dabei hat mich am meisten überrascht, nein, schockiert, wie blauäugig ich in meinen pazifistischen jungen Jahren war, als ich gegen die NATO protestiert habe und nicht wusste, dass der KGB die Friedensbewegung in Westeuropa gesteuert und manipuliert hat. Am herausforderndsten war natürlich das Moskau von 1980–1983, der Hauptspielort des Romans. Wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine konnte ich eine geplante Recherchereise nicht mehr antreten und musste mir anders behelfen: Literatur, Filme, Gespräche mit Menschen, die damals dort gelebt haben. Am Ende hat mein Handwerk als Erzähler den Ausschlag gegeben. Ich habe schon größere Herausforderungen angenommen als diese, mit Jenny Aaron die Welt aus der Sicht einer Blinden zu beschreiben beispielsweise. Auf meiner persönlichen Schwierigkeitsskala von eins bis zehn kriegt Moskau eine stabile sieben.
Gibt es, neben all der Rechercheliteratur, auch Zeit für das Lesen anderer Bücher? Literatur? Thriller? Wenn ja, was lesen Sie aktuell oder würden es gerne lesen?
Ich komme kaum zum Lesen schöner Literatur, weil ich in der Tat fast ständig recherchiere. Der letzte Thriller, den ich auf dem Nachttisch liegen hatte, war „Fünf Winter“ von James Kestrel, ein sehr gutes Buch, das mir Freude bereitet hat. Ansonsten gehören Thriller nur selten zu meiner Lektüre. In den Achtzigern habe ich mein Geld sieben Jahre lang als Taxifahrer verdient und versichere Ihnen, dass ein Taxifahrer nach der Schicht keine Lust mehr hat, einen Roman zu lesen, der vom Taxifahren handelt.
Woran arbeiten Sie aktuell oder demnächst?
Mein Leben verläuft im immergleichen Rhythmus: vor dem Roman, im Roman, nach dem Roman. Die Phase nach dem Roman ist die schwerste, weil ich dann kaputt bin und gleichzeitig Abschied von meinem Text und vor allem von den Figuren nehmen muss, die mich so lange Tag und Nacht begleitet haben. Das ist Trauerarbeit. Dann Buchmesse, Interviews, Auftritte, Lesereisen, eine Zeit, in der ich nicht dazu komme, mich ernsthaft mit einem neuen Roman zu beschäftigen. Erst jetzt, Ende November, stehlen sich wieder Bilder und neue Figuren in meine Träume, das ist schön, aber ich drücke das noch weg. Im Zen heißt es, dass eine Tasse erst ganz leer sein muss, um sie zu füllen. In meiner Tasse ist noch eine Pfütze auf dem Boden – ich denke, dass sie etwa Anfang Februar wieder gefüllt werden kann.
Interview: Literaturtest, 2023