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Daniel Schreibers Essay zeigt: Heimat muss man sich schaffen.
Von Katrin Göring-Eckardt
Ich weiß: Die Ichform hat in einer seriösen Buchrezension eigentlich nichts zu suchen. Beim Thema Heimat sei sie mir ausnahmsweise verziehen, wenigstens ganz kurz im Einstieg. Denn als ich Daniel Schreibers Buch las, erinnerte ich mich nicht nur an viele Momente meiner Kindheit in der DDR, sondern auch daran, wie ich 2009 für die grüne Bundestagsfraktion zu einer Tagung zum Thema "Heimat. Wir suchen noch" eingeladen hatte. Im Vorfeld der Tagung zeigte sich die ganze Brisanz des Themas. Die Reaktionen waren begeistert, verhalten, bis zu offen feindselig. Heimat? Da gehe es doch um Blut und Boden. Wer von Heimat redet, der klinge wie die Rechten, meinten manche.
Den unverfänglichen Begriff "Zuhause" wählte Daniel Schreiber - bekannt durch "Nüchtern", den autobiographischen Bestseller über seine Alkoholsucht - für sein neues Essaybuch. Er meint aber eben doch nichts anderes als den Begriff "Heimat" in einem offenen, nicht reaktionären Sinne. Einen Ort, an dem man geborgen ist und das Gefühl hat, dass es hier, so wie es ist, richtig ist.
Dieses Thema umkreist Schreiber in einem zarten und zweifelnden Ton, großsprecherische Pathosformeln sind ihm fremd. Er zeigt seine Belesenheit, wirkt aber nie beflissen. Die Leichtigkeit, mit der er existentielle Erfahrungen mit theoretischer Reflexion verbindet, ist schlicht brillant. Ein Stil, der an Susan Sontag erinnert, über die Schreiber vor einigen Jahren eine schöne Biographie veröffentlichte. In "Zuhause" nimmt er die Leser mit auf eine Reise durch persönliche Krisen und flüchtige Glücksmomente. Die Reise führt von London über New York nach Berlin, wo er - des provisorischen Nomadenlebens des global vernetzten Intellektuellen überdrüssig - schlussendlich sein privates Glück findet.
Schreiber schreibt aus der Perspektive eines homosexuellen Mannes, dem ein echtes Zuhause während seiner DDR-Kindheit verweigert wurde. Auf seiner Schule in der Provinz in Mecklenburg-Vorpommern wurde er Opfer einer parteifrommen Lehrerin, die ihn quälte und aussonderte, weil er zu weiblich wirkte. Diese schockierenden Misshandlungserfahrungen stehen am Anfang einer langen Suche nach einem Ort des Aufgehobenseins, nach einem "Zuhause" eben. Denn "Zuhause ist normalerweise ein Ort, an dem man sich gerade nicht verstecken und sich auch nicht für sich schämen muss", schreibt Schreiber.
Wie wichtig es für diskriminierte Minderheiten war und ist, sich solch einen "Raum frei von Scham" zu schaffen, zeigt sich an Schreibers Biographie exemplarisch. Gleichwohl spricht der Autor nicht allein für "seine" schwule Community. Seine Gedanken betreffen alle und jeden. Die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Sicherheit ist ein bleibendes menschliches Bedürfnis. Entscheidend an Schreibers Überlegungen ist, dass der Sehnsuchtsort Heimat für ihn nichts schon immer gleichsam natürliches Gegebenes ist, sondern etwas, das wir erst erfinden und erarbeiten müssen. Weil Schreiber Heimat als ein offenes Projekt versteht, unterscheidet er sich radikal von neuen und alten Rechten, die behaupten, Zuhause und Identität seien uns qua Herkunft immer schon mitgegeben und müssten gegen äußere und innere Feinde verteidigt werden.
In wunderbar hellen Beschreibungen zeigt Schreiber, wie wir unsere Heimat schaffen und ein Zuhause einrichten. Heimatgefühle entstehen nicht als metaphysische Fühlung eines germanischen Mythos oder durch Anpassung an eine fiktive "Leitkultur". Sie erwachsen aus alltäglichen Tätigkeiten wie Spazierengehen, Musikhören, Kochen oder beim Anblick blühender Bäume. Es sind die unspektakulären Kleinigkeiten, die heimisch und glücklich machen.
Politisch und aktuell ist Schreibers Idee von Heimat nicht zuletzt, weil zu ihr Irritationen und Konflikte dazugehören. Reale Heimat ist kein Ort endgültiger Harmonie. Dort, wo Heimat ist, müssen wir uns auch oft mit Leuten auseinandersetzen, die anders sind. Seien es die eigene Großtante, ein britischer Partytourist oder ein Geflüchteter aus einem muslimischen Land, der die eigene Heimat gerade verloren hat. Wer lieber spießig unter sich bleiben will und Heimat an einem imaginären und - wie AfD & Co. - an einem rückwärtsgewandten Idealbild misst, verpasst die Freude, die es bereiten kann, gemeinsam mit anderen Heimat als den eigenen Ort in der Welt zu gestalten. Wohlfühlen wird man sich dort können, wenn dieser Ort offen und einladend ist und wenn auch mitmachen kann, wer nicht von Anfang an dazugehört.
Katrin Göring-Eckardt ist Bundesvorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen.
Daniel Schreiber: "Zuhause. Die Suche nach dem Ort, an dem wir leben wollen". Hanser Berlin, 144 Seiten, 18 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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