Paula, Isabel Allendes Tochter, lebt schon seit Jahren nicht mehr. Doch die Geschichte der Familie ging weiter, und so macht sich die Autorin daran, ihrer Tochter davon zu erzählen. Von ihrer faszinierenden Familie in Kalifornien, einem gastfreundlichen Haus, das voll ist von Menschen und Büchern. Von den Obsessionen, Geheimnissen und einer Familie, die davon beinahe zerrissen wird. Eva Mattes erhebt für Isabel Allende die Stimme und liest die Geschichte über Liebe und Leidenschaft, über Hoffnung und Freundschaft, über Legenden und Magie voll emotionalem Tiefgang und bezauberndem Humor.
Memoiren einer Kupplerin: Isabel Allende erzählt wieder von sich und gibt dabei die Familientherapeutin, die sich um das Liebesleid der Angehörigen kümmert - zirkusreif.
Von Ariane Breyer
Vor mehr als zehn Jahren hat die chilenische Bestsellerautorin Isabel Allende ihren Roman "Paula" vorgelegt, in dem sie den frühen Tod ihrer Tochter verarbeitete. Auch ihre neue Autobiographie ist Paula gewidmet, doch steht jetzt nicht mehr die Verlusterfahrung im Vordergrund. "Das Siegel der Tage" hält den Zumutungen des Lebens ein nachdrückliches "Trotzdem" entgegen und plaudert im locker-leichten Tonfall einer Seifenoper über Kabale und Liebe des Allende-Clans. "Meinem Leben fehlt es nicht an Dramatik, zirkusreifes Material, über das ich schreiben könnte, findet sich mehr als genug", verspricht die Autorin.
Glaubt man dieser Selbstbeschreibung, so verdankt sich die Fülle literaturfähigen Stoffes maßgeblich ihrem zügellosen Einsatz für das Liebesleben der Sippschaft. Die "infernalische Schwiegermutter" befindet sich auch noch beim Shopping auf Brautschau für ledige Verwandte, mischt sich mit Hilfe eines Nachschlüssels ungebeten in Ehe- und Einrichtungsfragen der Kinder ein und durchforstet Internetbörsen nach devoten heiratswilligen Chinesinnen für den Buchhalter ihres Mannes. Ihre Eltern empfehlen: "Geh ans Schreiben, Isabel, damit du etwas zu tun hast. Das ist die einzige Möglichkeit, wie du dich einigermaßen raushältst." Eine derart offenherzige Chronik der familiären Amouren werden sie damit gerade nicht gemeint haben.
In der Tat scheinen die Allendes ein Gen für familienplanerische Um- und Abwege zu haben. Die Ehe des Sohnes Nico zerbricht, als sich seine anfangs noch hysterisch homophobe Gattin Celia stürmisch in ihre Schwägerin verliebt. Jedoch, man ahnt es schon, währt die Trauer des Gehörnten nicht lange: Mutter setzt ihm bald schon eine neue Partie vor, der muntere Reigen kann weitergehen. Ein buddhistisches Lesbenpärchen adoptiert das Kind der drogenabhängigen Stieftochter, und die wechselnden Partner von Allendes Busenfreundin Tabra bereichern den Patchwork-Clan um weitere Exotismen. All diese Scharmützel und Liebschaften, die sich im Dunstkreis des kalifornischen Allende-Anwesens abspielen - mehrmals wird augenzwinkernd darauf hingewiesen, dass der Bau Ende des neunzehnten Jahrhunderts das erste Bordell am Platze war -, werden lustvoll und detailreich geschildert. Dagegen muten die Versuche, die anekdotisch aneinandergereihten Episoden um übergeordnete Motive zu zentrieren, wie eine oberflächlich absolvierte Pflichtübung an. Leicht esoterische Erkenntnisse wie "Geburt und Tod sind sich sehr ähnlich, Tochter, es sind heilige und geheimnisvolle Momente" gehen in dem gutgelaunt sprudelnden Erzählfluss unter.
Mehr Aufmerksamkeit widmet Allende dem paranatürlich schillernden Personal, das die zahlreichen Wunden der Familie heilen hilft, den Geistern, Hellseherinnen, Zauberern und den grünen Tee trinkenden Therapeuten, die zur Rettung ihrer Ehe anrücken. Obwohl Allende nicht ganz unironisch von ihren schamanistischen Selbstversuchen mit visionsfördernden Drogen, ihren Yoga-Kursen und Akupunktursitzungen berichtet, liest sich "Das Siegel der Tage" wie ein Krisenratgeber, dem an gedanklicher Tiefe am wenigsten gelegen ist: "Das ist es, was ich mit meinen unbeholfenen spirituellen Übungen zu erreichen versuche: die schlechten Gefühle abzuschütteln, die mich an einem unbeschwerten Fortschreiten hindern."
Als Rechtfertigung ihrer als unerhörte Indiskretion inszenierten Offenheit führt Allende im Vorwort vorauseilend ihre schriftstellerische Professionalität an, die ihr gebietet, für die Ausbeute einer guten Geschichte jede skrupulöse Zurückhaltung über Bord zu werfen. Das emphatische Selbstverständnis als Erzählerin steht dann aber doch allzu oft im Widerspruch zu den überraschend trivialen Einwürfen der Autorin: "Jedes Leben kann wie ein Roman erzählt werden, wir alle sind die Hauptfigur unserer eigenen Geschichte." Stimmiger fügt sich da der offen bekundete Anspruch, das Schreiben als eine weitere familientherapeutische Maßnahme einzusetzen, ins Gesamtbild ein: "Und nachher werden sich die Wogen wieder glätten, der aufgewühlte Schlick wird zurück auf den Grund sinken, und was bleibt, ist Klarheit." Allende-Fans werden sich zweifellos über die vielfältigen dabei an die Oberfläche gespülten Intimitäten freuen.
- Isabel Allende: "Das Siegel der Tage". Aus dem Spanischen übersetzt von Svenja Becker. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 415 S., geb., 19,80 [Euro].
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