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Eine junge Frau ist auf dem Weg nach London, um eine unerwiderte Jugendliebe ein letztes Mal zu treffen. Im Gepäck hat sie sechs Kassetten, die von sechs Jungen für sie aufgenommen wurden. Ein mißglückter Liebesversuch pro Kassette. Und während sie den Songs ihrer Vergangenheit lauscht, kommt die Erinnerung wieder: an ihre Zeit als größtes und dickstes Kind der Klasse und ihr Froschhospital. An die Schrecken der Diätversuche, den impotenten ersten Freund mit den moosig-pelzigen Zähnen, den ersten Job in der Hundeleinenfabrik, den gescheiterten Therapieversuch, die wilde Zeit als Punk ...…mehr

Produktbeschreibung
Eine junge Frau ist auf dem Weg nach London, um eine unerwiderte Jugendliebe ein letztes Mal zu treffen. Im Gepäck hat sie sechs Kassetten, die von sechs Jungen für sie aufgenommen wurden. Ein mißglückter Liebesversuch pro Kassette. Und während sie den Songs ihrer Vergangenheit lauscht, kommt die Erinnerung wieder: an ihre Zeit als größtes und dickstes Kind der Klasse und ihr Froschhospital. An die Schrecken der Diätversuche, den impotenten ersten Freund mit den moosig-pelzigen Zähnen, den ersten Job in der Hundeleinenfabrik, den gescheiterten Therapieversuch, die wilde Zeit als Punk ... Selten hat die junge deutsche Literatur eine Autorin hervorgebracht, die so unbarmherzig und zugleich komisch erzählen kann. Ein konsequent durchgehaltener böser Blick und schwarz eingefärbte Situationskomik machen diese mißglückte Suche nach der Idylle so faszinierend.
Autorenporträt
Karen Duve, geb. 1961in Hamburg, lebt mit einem Maultier, einem Pferd, einem Esel, zwei Katzen und zwei Hühnern auf dem Lande in der Märkischen Schweiz. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Das Leben ist eine Personenwaage
Vergebene Chancen: Karen Duve klebt heißes Pech am Damenschuh / Von Volker Weidermann

Herrlich, in England ein Verlierer zu sein. England liebt seine Niederlagenverschulder wie andere Länder ihre Sieger. Man muß gar nicht an den desaströsen Skihüpfer Eddi the Eagle zurückerinnern, der Ende der achtziger Jahre durch seine beharrlich herausgeflogenen letzten Plätze bei allen Skiflugveranstaltungen der Welt zum großen Liebling seiner Nation wurde. Und der erst durch die Einführung einer Mindestflugweite von verliererfeindlichen Sportfunktionären gewaltsam aus den Wettbewerben gedrängt werden mußte. Auch David Seaman, der Torhüter der englischen Fußball-Nationalmannschaft, wurde zum begeistert massengetrösteten tragischen Helden, als er in diesem Sommer das WM-Aus seiner Elf gegen Brasilien durch das Passierenlassen eines lächerlichen Lupfballes ganz allein verschuldet hatte. Glück - das haben die Deutschen. Pech zeichnet den sportlichen Engländer aus und die Größe, dies stolz zu tragen.

Auch Gareth Southgate ist ein solcher großer Verlierer. Er schoß im Halbfinale der Europameisterschaft von 1996, als ein ganzes Land sich darauf freute, daß der Fußball endlich im Triumph nach Hause kommen würde, im Londoner Wembley-Stadion den entscheidenden Elfmeter gegen Deutschland. Hunderttausend Zuschauer im Stadion, vielleicht eine Milliarde an den Bildschirmen zu Hause, und Southgate - verschießt. Was fühlt Southgate jetzt? "Southgate fühlt nichts. Noch fühlt Southgate nichts. Erst sickert langsam die Verzweiflung in ihn ein, mechanisch murmelt er etwas, das vermutlich Scheiße heißt, und er begreift, daß er der unglücklichste Mensch auf der ganzen Welt ist und selbst seine Mutter sich von ihm abkehren wird."

Das vermutet Karen Duve in ihrem neuen Roman "Dies ist kein Liebeslied". Die Protagonistin dieses Romans hat soeben das Versagen Southgates in einem Londoner Pub inmitten unendlich glücksbereiter englischer Fanmassen miterlebt, versucht nun um alles in der Welt, sich nicht als Deutsche zu erkennen zu geben, und macht sich über das Seelenleben Southgates ihre Gedanken: "Wie viele Jahre Psychotherapie braucht man, bis man einen solchen Fehlschuß verwunden hat?" Eine unendliche Zahl vermutlich. Zumindest sie, Anne Strelau, würde eine unendliche Zeit damit verbringen. Zum Glück schießt sie keine Elfmeter. Es würde aber auch keinen großen Unterschied machen, da sie ohnehin viel Zeit beim Psychiater verbringt. Denn Anne Strelau ist eine unglückliche Frau, die unglückliche Heldin des neuen Unglücksromans von Karen Duve.

Duve hatte vor dreieinhalb Jahren mit ihrem "Regenroman" einen außerordentlich großen Erstlingserfolg und wurde in die schauerliche Fräuleinwunder-Riege der jüngsten deutschen Damenliteratur aufgenommen. Da paßte sie schon damals nicht hinein, da ihr "Regenroman" die Vernichtungsphantasien eines gewaltbereiten Nicht-Liebespaares im Moor gar nicht fräuleinhaft ausphantasierte. Mit unzähligen literaturhistorischen Anspielungen und einer ironisch immer wieder herbeizitierten romantischen Todessehnsucht hatte Duve gleich mit ihrem Erstling ein brillantes, mitleidloses Untergangsepos des zu Ende gehenden Jahrhunderts geschrieben.

Jetzt ist endlich ihr zweiter Roman erschienen. Und er weiß von Unglück, Niedergang und Einsamkeit soviel wie sein Vorgänger. Die verzweifelte Person im Zentrum des Buches will nicht auf der Welt sein. Vom Vater mißachtet, von der unseligen Mutter hilflos geliebt, ist das Leben der Anne Strelau von Anfang an mißraten. Häßlich, unsportlich und allein, beginnt sie schon mit zehn Jahren ihre erste Diät. "Der wichtigste Moment im Leben eines Mädchens", schreibt Duve. "Jedenfalls bedeutender als das maßlos überschätzte Ereignis der Entjungferung. Eine Art Initiationsritus, nur daß du nicht als fertige Frau daraus hervorgehst, sondern immer wieder von vorn anfangen mußt. Du bist elf oder zwölf, und vielleicht bist du auch erst zehn, wenn du begreifst, daß du so, wie du bist, auf keinen Fall bleiben kannst. Fortan wirst du versuchen, anders zu sein, und zwar besser - also weniger."

So wird es weitergehen. Das Leben - ein mißlungener Abmagerungsprozeß, die Lebensstationen werden durch immer neue Rekordgewichte wie Wasserstandsmeldungen markiert. Anne ist fett. Anne gehört nicht dazu. Anne wird nicht geliebt. Die ganze Anne Strelau ist ein großer Fehler. "Ich hatte die falsche Figur und die falschen Jeans, ich lachte falsch und sagte die falschen Sachen, selbst das Fahrrad, das mir gehörte, war kein richtiges Fahrrad, sondern ein Klapprad."

Das Leben ist ein Pechzusammenhang. Die Welt ist falsch eingerichtet, das Glück ungerecht verteilt. Diese Weisheiten aus dem Leben der Schmerzensfrau als Bulimikerin werden auf den 280 Seiten wieder und wieder variiert. Die Welt verändert sich, aber das Unglück bleibt. Auf den großartigen ersten anderthalb Seiten des Buches hat Karen Duve das Dilemma, das dann folgen soll und das das Haupt-Dilemma dieses Romans ist, schon präzise beschrieben. In kaum mehr als fünfzig Zeilen läßt sie die Essenz des Erwachsenwerdens in den achtziger und neunziger Jahren an dem Leser vorüberrauschen. Doch für die Heldin der kommenden Seiten gilt: "Was auch immer um mich herum geschah, nie hatte ich das Gefühl, irgend etwas davon hätte mit mir zu tun."

Sondern nur ihr Seelenleben, ihr Unglück, ihre Einsamkeit und ihr Selbstmitleid haben mit ihr zu tun. Die Außenwelt ist eine Schemenwelt, feindlich, männlich, böse. Anne Strelau tritt immer wieder nur in den mißlungensten Sex-Abenteuern mit ihr in Kontakt. Sonst leidet sie still, versucht die Welt zu verstehen, sich den Menschen anzupassen und bleibt doch allen völlig fremd. Unglücklich, todessehnsüchtig und allein waren auch schon die Helden des "Regenromans", doch diese lebten ihr Lebensunglück immerhin noch in lächerlichen Abenteuern aus. Anne Strelau ist mit ihrem Riesenunglück allein. Und findet ein schrecklich konventionelles Mädchenglück auf dem Rücken eines galoppierenden Ponys, in einer Disco namens Sitrone, in der sie sich dem einsamen Musikrausch hingibt, und - nicht so konventionell - bei der Eröffnung eines Hospitals für Frösche, die der neue Elektrorasenmäher des Nachbarn verstümmelt hat. Ein Froschspital, das Anne gemeinsam mit ihrem würgefreudigen Freund Axel, genannt "Tellerauge", in einem der wenigen schönen Momente ihres Lebens eröffnet.

Anne Strelau ist eine traurige Lebensverliererin und wird es bleiben. Der Roman ist kein Roman, sondern eine entwicklungslose Leidensgeschichte, eine Selbstmitleidsgeschichte, der selbst Duves böser Blick von einst verlorengegangen ist. Leidverbissen, hoffnungslos. Solche Verlierer mögen selbst die verliererliebenden Engländer nicht. Solche, die nicht mehr aufstehen, Weiterleider: "Psycho" haben sie Stuart Pearce genannt. Den Mann, der im WM-Halbfinale 1990 den entscheidenden Elfmeter gegen Deutschland verschoß. "Psycho", wegen seiner manisch-humorlosen Art. Er hat dieses Elfmeterversagen nie vergessen. Und zwölf Jahre später, im letzten Spiel seiner Profikarriere, es ging um nichts mehr, sein Verein Manchester City war längst sicher aufgestiegen, da gibt es in der letzten Minute Elfmeter. Die letzte Minute seiner Karriere. Alle sagen: Pearce muß es machen. Der Keeper, der weiß, was dieser Schuß für ihn bedeutet, sagt zu ihm: "Mach ihn rein. Ich bewege mich nicht." Es wäre das hundertste Tor in seiner Karriere. Das letzte. Und das wichtigste. Der Keeper bleibt stehen, Pearce läuft an und schießt - über das Tor. Er hat es nicht geschafft. Er hat sich zu sehr in sein Unglück verbissen. Für Fußballer gibt es nichts Schlimmeres. Und manchmal für Romanschriftsteller auch.

Karen Duve: "Dies ist kein Liebeslied". Roman. Eichborn Verlag, Berlin 2002. 280 S., geb., 19,90 [Euro].

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