"Wir glauben, die zu kennen, die wir lieben."
Wir glauben, die zu kennen, die wir lieben. Unsere Ehemänner, Ehefrauen. Wir kennen sie , wir sind sie - etwa, wenn wir in der Gesellschaft einen Moment getrennt werden und plötzlich ihre Ansichten vertreten. Für ihr Lieblingsessen und ihre Lieblingsbücher schwärmen, Anekdoten aus ihrem Leben erzählen, nicht unserem. Wir kennen ihre Eigenheiten, wie sie reden, wie sie Auto fahren, wie sie sich kleiden, wie sie einen Zuckerwürfel in ihren Kaffee halten und ihn schließlich, zufrieden, vom Löffel zu kippen. Genau das sah ich meinen Mann jeden Morgen tun; ich war eine sorgsame Frau. Wir glauben zu kennen. Wir glauben sie zu lieben. Aber was wir lieben, ist in Wahrheit unsere eigene schlechte Übersetzung aus einer Sprache, die wir kaum beherrschen. Wir wollen zum Original vordringen, aber es gelingt nicht. Wir kennen das alles. Aber haben wir verstanden?
Wir glauben, die zu kennen, die wir lieben. Unsere Ehemänner, Ehefrauen. Wir kennen sie , wir sind sie - etwa, wenn wir in der Gesellschaft einen Moment getrennt werden und plötzlich ihre Ansichten vertreten. Für ihr Lieblingsessen und ihre Lieblingsbücher schwärmen, Anekdoten aus ihrem Leben erzählen, nicht unserem. Wir kennen ihre Eigenheiten, wie sie reden, wie sie Auto fahren, wie sie sich kleiden, wie sie einen Zuckerwürfel in ihren Kaffee halten und ihn schließlich, zufrieden, vom Löffel zu kippen. Genau das sah ich meinen Mann jeden Morgen tun; ich war eine sorgsame Frau. Wir glauben zu kennen. Wir glauben sie zu lieben. Aber was wir lieben, ist in Wahrheit unsere eigene schlechte Übersetzung aus einer Sprache, die wir kaum beherrschen. Wir wollen zum Original vordringen, aber es gelingt nicht. Wir kennen das alles. Aber haben wir verstanden?
Andrew Sean Greers amerikanische Ehedreiecksgeschichte
Was auch immer der amerikanische Schriftsteller Andrew Sean Greer, ein Generationsgenosse von Jonathan Safran Foer, Colson Whitehead und Jonathan Lethem, von seiner Großmutter geerbt haben mag: Es war nicht ihre Verschwiegenheit. Greers Großvater hatte in den fünfziger Jahren eine Affäre. Und zwar mit einem Mann. Nein, man redete damals nicht darüber; man hatte seine Ehe zu führen und seine Ehre zu retten und zusammenzuhalten gegen Landesverräter, Atommächte sowie die Zumutungen der Nachkriegsjahre. Mehr gebe es nicht zu sagen, meinte Großmutter Greer. Diese Meinung teilte ihr beredsamerer Enkel Andrew nicht - und hat aus der Geschichte einen Roman gemacht.
Ein literarisch nicht ganz unheikles Unterfangen, denkt man an seine Vorbilder, an das auch verfilmte Drama "Brokeback Mountain" von Annie Proulx, das die Liebesgeschichte zweier Cowboys schildert. Oder an Julianne Moore, die in "Dem Himmel so fern" die Ehefrau eines Homosexuellen spielt und sich in ihrer Fünfziger-Jahre-Einsamkeit mit dem Gärtner anfreundet, einem Schwarzen - mithin noch so ein Ding der Unmöglichkeit, das nicht gut endet und später in Schweigen gehüllt in die Gruft der Erinnerung sinkt. Über all diesen Erzählungen steht und stockt die Zeit, die nicht reif ist für ihre Erscheinungen und ihre Helden deshalb so schändlich im Stich lässt.
Von Passivität und grassierender Sprachlosigkeit handelt Greers dritter, in der englischsprachigen Kritik diesmal insgesamt eher mäßig freundlich aufgenommener Roman. Warf man dem Neununddreißigjährigen bislang seinen Hang zu moschusduftiger Kunstsprachlichkeit vor, muss Greer sich nun das Gegenteil sagen lassen. Immer noch der sichere und ein wenig altkluge Stilist, als der er sich zuletzt in "Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli" zu erkennen gab, setzt Greer in der "Geschichte einer Ehe" auf eine extreme sprachliche Zurückgenommenheit.
Die Geschichte vom Krebsgang des als Greis geborenen Jungen und als Säugling sterbenden Greises Max Tivoli begann mit dem nach Bestätigung heischenden Satz: "Jeder von uns ist die Liebe im Leben eines anderen." Aus der "Geschichte einer Ehe" raunt es jetzt eher sentenziös: "Wir glauben, die zu kennen, die wir lieben." Dahinter die Leerstelle, ein imaginäres "Punkt, Punkt, Punkt".
Pearlie und Holland Cook sind ein merkwürdiges Paar. Aus Kentucky hat es die ehemaligen Jugendliebhaber nach San Francisco verschlagen, wo sie sich nach dem Krieg zufällig wiederbegegnen. Sie heiraten, bekommen einen Sohn und führen ein bescheidenes Leben in Sunset, einem Vorort von San Francisco, dem einzigen, von dem es immer hieß, er werde einem Atomangriff auf die große Schwesterstadt standhalten. Eine Gegend, in der rechtschaffene Familien kleine Festungen an die Pazifikküste bauen, kein Schwarzengetto, sondern ein Ort der Assimilation und der Hoffnung für eine schwarze Mittelschichtfamilie mit, wie sich herausstellen wird, mehrfach belasteter Vergangenheit.
Eines Tages bekommen die Cooks Besuch von einem elegant gekleideten Weißen. Charles, genannt Buzz Drumer, erzählt, er habe sich nach einem klinischen Experiment für Kriegsdienstverweigerer das Krankenzimmer mit Holland geteilt. Bald wird klar: Hier geht es nicht um eine Veteranenfreundschaft. Buzz Drumer ist nach Sunset gekommen, um Holland Cook den Köder der Liebe unter die Nase zu halten, um seinen ehemaligen Geliebten zurückzukaufen mit Geld für dessen Familie und den dazugehörenden Träumen von einer besseren Zukunft.
Im Laufe des Romans entspinnt sich eine prekäre Dreiecksbeziehung, deren Spitzen und Tiefen Greer mit einer lyrisierenden Prosa kunstvoll umzirkelt, ohne die Dinge dabei je ganz beim Namen zu nennen. Tatsächlich gelingt es ihm mit diesem Trick, die Sprachlosigkeit einer Generation einzufangen, die sich jede in heutigen Beziehungsfragen übliche Selbstanamnese verbieten musste, damit auf vieles verzichtete, manches aushielt und auch einiges zu retten vermochte.
Doch so nachvollziehbar die Wahl dieses literarischen Mittels ist, so frustrierend wirkt es in seiner analytischen Scheinschärfe. Der Romanstoff ist kaum zu bewältigen auf 250 Seiten. Es geht um Homosexualität, Kommunistenhetze, Rassismus und Landesverrat. Im Buch finden sich Spurenelemente eines Familienromans, eines Thrillers, politischer Memoiren und einer philosophischen Meditation. Greer hat die Aussparung zum ästhetischen Programm erhoben. Er will zu viel und verrät zu wenig. Das Narrative tritt hinter das Allusive. Damit schafft man anregende Bilder, vernachlässigt jedoch ihre Verbindungslinien. Was hält die Ehe der Cooks eigentlich bis zum Schluss am Leben? Was denkt oder fühlt der doppelt begehrte Familienvater? "Er war ein Nebel, der sich nicht wandeln kann, weil er von vornherein keine feste Form hat. Holland hatte es sich so sehr zur Gewohnheit gemacht, alles zu sein, es allen recht zu machen." Es liegt nah, diesen Satz auch programmatisch zu lesen.
Gern hätte man mehr gelernt über die Rosenberg-Hinrichtung, die unter dem Kommunistenjäger McCarthy wegen angeblicher Atomspionage vollstreckt wurde. Oder über die Anfänge der kalifornischen Schwulenbewegung, die Pearlie Cook bei einem nächtlichen Ausflug zur legendären Black Cat Bar nur als diffusen "change" wahrnimmt, ohne sagen zu können, was genau das in ihrem eigenen Leben verändern könnte. In diesem Buch steckt der Stoff zu einer great American novel. Greer begnügt sich damit, dies unermüdlich anzudeuten. Geschrieben hat er sie nicht.
KATHARINA TEUTSCH
Andrew Sean Greer: "Geschichte einer Ehe". Roman. Aus dem Amerikanischen von Uda Strätling. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 256 S., geb., 19,95 [Euro].
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