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Trackliste
CD
1Other side of the world00:03:34
2Another place to fall00:04:11
3Under the weather00:03:36
4Black Horse And The Cherry Tree00:02:52
5Miniature disasters00:03:31
6Silent sea00:03:48
7Universe & U00:04:01
8False alarm00:03:50
9Suddenly I see00:03:21
10Stoppin' the love00:04:02
11Heal over00:04:27
12Through the dark00:03:48
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.2005

Sich selbst ein Meister
Das Debüt der schottischen Sängerin KT Tunstall

Natürlich gibt es eindeutigere Liebeserklärungen als die Versicherung, das Gegenüber sei "die andere Seite der Welt". Freundlich interpretiert, klingt das, als ob der andere die notwendige Ergänzung zur eigenen Person sei; unfreundlich gewendet, mag man darin ablesen, daß die beiden, um die es geht, in allem gegensätzlicher Auffassung sein müssen, grundverschieden, wie sie eben sind.

Das Lied aber, mit dem die schottische Sängerin KT Tunstall ihr Debüt "Eye To The Telescope" eröffnet, legt sich auf keine dieser Deutungen fest, nicht im Text und auch nicht musikalisch: "Other Side Of The World", in seiner klassischen Songstruktur, Instrumentierung und Darbietung nahezu perfekt, schmeichelt sich sofort ins Ohr, ohne beim zweiten oder dritten Hören durch Trivialität zu langweilen. Das Lied beginnt verhalten, Tunstall singt mit sanfter Stimme von Distanz, verhärteten Gesichtern und unerfüllten Erwartungen an den andern, läßt den Gesang unmerklich anschwellen, bis dieser immer stärkere Konturen gewinnt und an zentralen Passagen einen Hauch von Pathos. Lange schon gab es keine Debütantin mehr, die den stimmlichen Modulationswechsel derart kraftvoll und dabei ohne die geringste merkliche Anstrengung so beherrscht wie diese; sie klingt zärtlich und frech, bitter, verzweifelt und aggressiv, nur auf das Säuseln verzichtet sie auch in den ruhigeren Liebesliedern dieses Albums, und daran tut sie gut.

Daß sich diese außergewöhnliche Stimme so entfalten kann, ist auch ein Verdienst des Produzenten Steve Osborne, der sich auf Tunstalls Vorstellung einließ, der Platte hin und wieder ein leichtes atmosphärisches Grundrauschen zu verpassen, das die sparsam instrumentierten zwölf Lieder des Albums gern wie live gespielt klingen läßt. Am deutlichsten zeigt sich das auf der Single "Black Horse & the Cherry Tree", die Tunstall klassisch mit one-two-three anzählt und dann fast allein zur rasch treibenden akustischen Gitarre singt: "My heart knows me better than I know myself / So I'm gonna let it do all the talking", heißt es da, und diese rasant gesungenen Zeilen geben dann das Thema des Songs vor: Das Herz nämlich erweist sich als abtrünnig, löst sich von der Sängerin, schließt anderswo neue Freundschaften und weigert sich, zu ihr zurückzukommen: "It said no, no / You're not the one for me", heißt es im Refrain.

Tatsächlich finden sich in KT Tunstalls Texten solche Entfremdungserfahrungen zuhauf geschildert, ein Bewußtsein vom Leben in falschen Zusammenhängen, von Personen, die nicht zu sich selbst kommen. Im soulseligen "Another Place to Fall" richtet sich die Sängerin an eine gefühlskalte Bekannte: "Are you alive / Is there a young woman hiding inside / Does she know that we're trying to help her / Is she totally frozen with fear / Can she feel can she hear can she see / If you let her come out for a day / She might even like it and stay / But its gonna take you to invite her / Coz you seem so determined to spite her." Und in "Miniature Disasters", dem bedrückenden Lied über eine fragile Persönlichkeit im Alltag, heißt es: "I must be my own master / or a miniature disaster will be / It will be the death of me."

Musikalisch hat KT Tunstall sicherlich Gewagteres und auch Disparateres zu bieten als in "Other Side Of The World", dem eingängigsten Lied des Albums, das als Kaufanreiz zu Recht am Anfang steht. Die mittlerweile Dreißigjährige, die sich das Singen und einige Instrumente angeblich selbst beibrachte, wuchs als Adoptivkind im schottischen St. Andrews auf, bevor sie in den Vereinigten Staaten in einer Hippiekommune lebte und Musik machte, in der englischen Undergroundszene auftrat und schließlich als Sängerin der Klezmer-Hip-Hop-Band "Oi Va Voi" bekannt wurde (F.A.Z. vom 15. November 2003).

Auf ihrem Soloalbum zeigt sie eine stilistische Bandbreite, die dem Wandlungsvermögen ihrer Stimme entspricht und trotzdem ebenfalls klare Konturen aufweist. Sie vermengt fröhlich, was sie bei Folk und Blues, Rock oder Jazz und selbst im Gospel findet, wechselt in "Silent Sea" vom Fünfviertel- in den Zweiviertel-Takt oder ironisiert das Pathos des Liebesliedes "Universe & U" mit einem knarzigen Baß-Synthesizer. Daß sie sich bei aller Experimentierfreude so eminent stilsicher zeigt - höchstens das im Booklet abgebildete selbstgebastelte Papiertheater hätte sie sich verkneifen können -, daß sie so erkennbar weiß, was sie will, ist das eigentliche Wunder dieses Debüts.

Vielleicht muß man dazu zehn Jahre lang auf den Durchbruch hingearbeitet oder auf Hunderten von Bühnen gestanden haben (Anfang September tritt sie in Berlin und Köln auf). Vielleicht aber ist diese reife und jederzeit aufregende Platte auch nur der Ausdruck eines großen Talents, das erst jetzt ans Licht gekommen ist. Der Albumtitel, sagt KT Tunstall, beziehe sich auf ihren Vater, einen Physiker, der sie und ihren Bruder früher gern zur Sternwarte mitgenommen habe, um etwa den Halleyschen Kometen durchs Teleskop zu verfolgen. Das ist wohl nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich findet sich im letzten Lied des Albums, das von Orientierungslosigkeit und einer neuen Welt spricht, in deren Dunkel man sich zurechtfinden muß, die Zeile "Tell me what your telescope says". In KT Tunstalls Universum ist diese Frage fast schon so etwas wie ein Hoffnungsschimmer, ein Signal an die andere Seite der Welt.

TILMAN SPRECKELSEN

KT Tunstall, Eye To The Telescope. Virgin 860247 (EMI)

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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