Produktdetails
- Anzahl: 3 Vinyls
- Erscheinungstermin: 17. Juni 2016
- Hersteller: Integral / MUTE,
- EAN: 5051083104081
- Artikelnr.: 44809483
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
- Herstellerkennzeichnung
- Virgin Music Group BV.á
- 's-Gravelandseweg 80
- 1217 EW Hilversum, NL
- product-safety@integralmusic.com
Musik für Leute, die keine Musik mehr mögen: Der Himmelslärm der Swans
Ein letztes Mal in dieser Besetzung, sagt Michael Gira, Sänger, Gitarrist und Kraftzentrum von Swans. Der Zweck des Ganzen? Liebe, was denn sonst! Als er sich vor sieben Jahren entschloss, seine 1997 aufgelöste Band wieder ins Leben zu rufen, habe er nicht ahnen können, wohin das führt. Sie stand bereits in den achtziger Jahren im Ruf, den Dezibel-Exzess heraufzubeschwören. Seit der Neugründung erschien alle zwei Jahre ein neues Studioalbum, das ihre Reputation untermauerte. Vor allem die beiden je zweistündigen Strapazen "The Seer" (2012) und "To Be Kind" (2014) ließen als künstlerische Weiterentwicklungen aufhorchen.
Gängige Songstrukturen ließ der äußerst belesene Gira immer weiter hinter sich; stattdessen schuf er zehn- bis dreißigminütige, hallende und schallende, donnernde und dröhnende Klangkunstwerke mit Hang zu Krach und Crescendo, hervorgerufen durch unzählige Gitarren, Bass, Schlagzeug, Dulcimer, Piano und einiges mehr. Musik als körperliche und spirituelle Erfahrung, ausgelöst durch eine unberechenbare Laut-Leise-Dynamik, repetitive Rhythmen und Mantras oder auch die Wucht eines Gitarrenriffs, das den Hörer auf dem falschen Fuß erwischt und mit den Ohren schlackern lässt. Der Konzertsaal wird zur Schwitzhütte, die Performance zum atavistischen Ritual. Musik aber auch für Leute, die Musik im herkömmlichen Sinne nicht (mehr) mögen, das ewige Einerlei aus Intro - Strophe - Refrain - Strophe - Bridge - Refrain.
Gira zeigt sich beeinflusst von Avantgarde-Komponisten wie Glenn Branca und Henryk Górecki, von Industrial-Pionieren wie Throbbing Gristle oder dem No-Wave-Duo Suicide. Dass der in Los Angeles geborene, ehemalige Kunststudent in grauer Vorzeit an einer Performance von Hermann Nitsch mitwirkte, indem er das literweise vergossene Lämmerblut von den Teilnehmern schrubbte, dürfte ebenfalls einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Genauso wie sein mehrmonatiger Gefängnisaufenthalt in Israel in seiner Jugend; er war dabei erwischt worden, wie er Haschisch verkaufte.
"The Glowing Man", das insgesamt vierzehnte Album der Swans, beginnt mit zwei zwischen Kontemplation und Adrenalinrausch changierenden Stücken, die im Titel auf eine Schrift der christlichen Mystik verweisen. In "Cloud of Forgetting" und dem von einem kapriziösen Cello-Solo eingeleiteten "Cloud of Unknowing" barmt und fleht Giras Bariton wie im Gebet versunken. "The World Looks Red / The World Looks Black" verwendet einen Text, den Gira Anfang der Achtziger geschrieben und Thurston Moore von Sonic Youth überlassen hatte, macht daraus musikalisch aber etwas vollkommen anderes: eine langsam anschwellende Noise-Meditation. Der Titelsong wiederum entstand während Live-Improvisationen des Stücks "Bring the Sun" vom Vorgängeralbum, ein Werk im Werden. Er mündet nach einem unheilvollen Spannungsaufbau in ein monolithisches Gitarren- und Schlagzeuggrollen, kommt zur Ruhe, ringt nach Atem, um dann das Tempo zu beschleunigen und nicht mehr nachzulassen. Wer danach keine Pause braucht, war nicht ganz bei der Sache.
Hervorzuheben ist das beklemmende "When Will I Return", das Gira für seine Frau Jennifer schrieb, die ein Trauma zu verarbeiten hat. Sie singt zur ausnahmsweise behutsam angeschlagenen, akustischen Gitarre davon, einem Mann ausgeliefert zu sein, seine Hand am Hals, sein bestialischer Gestank, sie wehrt sich und schreit, bis er endlich von ihr ablässt; in ihren Träumen tötet sie ihn noch immer; was ihr bleibt, ihr Triumph, ist, überlebt zu haben. Brisant daran ist, dass die Sängerin Larkin Grimm Gira jüngst vorwarf, sie vor Jahren während der Produktion ihres Albums "Parplar" vergewaltigt zu haben. Gira, dem seine Frau zur Seite sprang, bestreitet dies. Ein Song über männliche Gewalt, geschrieben von einem Mann, der die weibliche Perspektive einnimmt, ist indes bemerkenswert - wenn auch kein Indiz für Schuld oder Unschuld.
Die Liebe habe die Band dahin gebracht, wo sie jetzt steht, sagt Gira. Die Songs handeln vom Abschiednehmen, Religion, Gewalt und, in einem ihrer packendsten, besten Stücke, "Frankie M", vom Drogenmissbrauch. "The Glowing Man" ist der vorläufige Schlusspunkt, ein Kraftakt, allerdings frei von musikalischer Muskelspielerei. Das Ergebnis ist weder christlicher Rock noch Psychedelic, weder Hippie-Esoterik noch Hauntology. Es ist Himmelslärm.
ALEXANDER MÜLLER
Swans: "The Glowing Man".
Mute (Goodtogo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main







