Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 17. April 2009
- Hersteller: Sony Music Entertainment Germa / SMI COL,
- EAN: 0886974621126
- Artikelnr.: 26090212
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
| CD | |||
| 1 | Sure Hope You Mean It | 00:03:40 | |
| 2 | 100 Yard Dash | 00:02:18 | |
| 3 | Keep Marchin' | 00:02:37 | |
| 4 | Big Easy | 00:03:18 | |
| 5 | Just one kiss | 00:02:32 | |
| 6 | Love that girl | 00:03:04 | |
| 7 | Calling | 00:03:44 | |
| 8 | Staying In Love | 00:02:53 | |
| 9 | Oh girl | 00:03:34 | |
| 10 | Let's take a walk | 00:02:28 | |
| 11 | Never give you up | 00:04:12 | |
| 12 | Sometimes | 00:04:06 | |
| 13 | Oh girl | 00:03:42 | |
| 14 | Big Easy (Euro Vision) | 00:04:47 | |
| 15 | Come On Home | 00:03:47 | |
Soul ist nicht nur Sache blasser britischer Fräuleins. Raphael Saadiq zeigt allen Nachahmern, was eine Harke ist, und macht eine zeitgenössische Platte zwischen Motown und Stax.
Soul der alten Schule schien in den vergangenen Jahren vor allem eine Sache von weißen Mädchen aus England zu sein. Diesen Eindruck konnte man jedenfalls angesichts von Joss Stone, Amy Winehouse, Duffy oder Adele bekommen. Zwar hat vor allem der breite Erfolg von Winehouse, die den Trend maßgeblich ausgelöst hat, zu einer neuerlichen Popularität des Genres beigetragen. Allerdings blieb der Verdacht nicht aus, dass es sich bei der Begeisterung um ein rein modisch-oberflächliches Phänomen handelte, das allein um sich selbst kreist. Auf das Werk einer Etta James etwa hat der Erfolg ihrer Nachahmerinnen jedenfalls nicht zurückgewirkt.
Vor diesem Hintergrund lässt sich die neue Platte von Raphael Saadiq als eine Lehrstunde in Sachen afroamerikanischer Musikgeschichte verstehen. Auf dem Album, das den programmatischen Titel "The Way I See It" trägt, geht der Sänger, Songschreiber und Produzent aus Oakland zu den Wurzeln von Doo Wop, R & B, Soul und Funk zurück. Und wirklich: Die zwölf Stücke klingen, als wären sie in den Sechzigern in den legendären Studios von Stax oder Motown entstanden. Im Gegensatz zu seinen jungen Kolleginnen, deren Bezug auf diese fruchtbare Epoche schwarzen Pops immer irgendwie konstruiert und kalkuliert daherkommt, besitzt der demnächst Dreiundvierzigjährige die nötige Glaubwürdigkeit und Beweglichkeit, um dieses Material auch überzeugend vermitteln zu können.
Denn dass aus dem Lager des amerikanischen Neo-Soul solch eine Verbeugung vor der Vergangenheit von Raphael Saadiq kommt, ist alles andere als überraschend. Saadiqs Karriere reicht bis in die späten Achtziger zurück, als er mit Bruder Dwayne Wiggins und Cousin Timothy Christian die Gruppe Tony! Toni! Toné! ins Leben rief. Obwohl ihre Stücke Elemente von Hip-Hop und New Jack Swing enthielten, stellte von Anfang an die reiche musikalische Tradition eine wichtige Inspirationsquelle für das Trio dar. Ihr zweites Album, mit dem sie sich endgültig etablierten, hieß bezeichnenderweise "The Revival". Von der Herangehensweise an zeitgenössischen Produktionsmethoden orientiert, durchwehte der Geist von Sly Stone und George Clinton die Songs. Mit "House Of Music", ihrer letzten gemeinsamen Veröffentlichung, setzten sich die drei Mitte der Neunziger schließlich an die Spitze der gerade aufkommenden Neo-Soul-Bewegung um D'Angelo, Maxwell und Erykah Badu. Durch den Einsatz von Live-Instrumenten erhielt das Album einen organisch-runden Klang. Dass Lieder wie "Til Last Summer", dessen Sitar-Effekt an eine Soul-Ballade aus den Mittsiebzigern erinnerte, trotzdem nicht altmodisch wirkten, dafür sorgten behutsam programmierte Beats aus dem Schlagzeugcomputer. Die Balance aus Konservativismus und Modernität verleiht der Platte noch heute über weite Strecken eine zeitlos-klassische Aura.
Nach dem Ende von Tony! Toni! Toné! blieb es lange still um Saadiq. Zunächst tat er sich mit Ali Shaheed Muhammad von A Tribe Called Quest und der ehemaligen En-Vogue-Sängerin Dawn Robinson für das Projekt Lucy Pearl zusammen. Dann machte er sich als Produzent für D'Angelo, The Roots und TLC einen Namen. Erst 2002 legte Saadiq sein Solodebüt "Instant Vintage" vor. Die Platte, die ihm fünf Nominierungen für den Grammy einbrachte, zählt zweifelsohne zu den interessantesten Entwürfen des Jahrzehnts zwischen Hip-Hop und Soul. Ein weiterer, ebenfalls hochkarätiger Tonträger in Anlehnung an die Blaxploitation-Ära folgte bald.
Wesentlich mehr Zeit hat dagegen die Arbeit an "The Way I See It" in Anspruch genommen, kein Wunder, denn Saadiq hat als Erstes die damalige Technik detailliert studiert. Davon profitierte zunächst Mary J. Blige, der Saadiq mit "I Found My Everything" bereits 2005 die Würde einer Aretha Franklin verliehen hat. Im Unterschied zu den einstigen Aufnahmepraktiken, bei denen eine Hausband die Grundlagen legte, hat Multiinstrumentalist Saadiq Bass, Schlagzeug und Gitarre selbst eingespielt. Dass das Album trotzdem vor Lebendigkeit sprüht, liegt zu einem großen Teil an Jack Ashford: Mit seinem treibenden Schellenkranz war der Rhythmus-Spezialist maßgeblich für den Motown-Sound verantwortlich. Im Ganzen ist die Platte ein Zeugnis der stilistischen Vielfalt des Soul. Die Bandbreite reicht von den raffinierten Harmoniegesängen der Temptations über handfeste Südstaaten-Nummern bis zu den eleganten Verführungskünsten Marvin Gayes. Doch auch der balladesken Sonderform des Sweet Soul setzt Saadiq ein Denkmal. Und wie sehr die Musik mit der Bürgerrechtsbewegung verbunden war, legt "Keep Marchin'" dar. Seit Martin Luther Kings Marsch nach Washington im August 1963 gehört der Aufbruch in eine bessere Zukunft zu den festen Topoi in den Texten schwarzer Interpreten.
Doch das Album ist beileibe keine bloße nostalgische Fingerübung. Dass die Grooves von gestern aktuell als Statement taugen, verdeutlicht beispielsweise "Big Easy", ein Klageruf auf das durch den Wirbelsturm Katrina stark versehrte New Orleans. Und wie bitter notwendig diese Wiederaneignung tatsächlich ist, zeigt die Anekdote, die Saadiq kürzlich in einem Interview erzählt hat: Warum eine Afroamerikaner wie er Stücke singen wolle, die sich nach einer britischen Blondine anhörten, fragte ihn eine Plattenfirma allen Ernstes. "Weil wir damit angefangen haben", konterte Saadiq. Mit "The Way I See It" ruft Raphael Saadiq ins Gedächtnis, wem das Erbe des Soul zusteht.
SVEN BECKSTETTE
Raphael Saadiq, The Way I See It. Columbia 6527206 (Sony/BMG)
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