Durch ein Preisausschreiben angeregt, verfasste Büchner 1836 das Lustspiel "Leonce und Lena". Da er dies nicht rechtzeitig abschickte, erhielt er es ungeöffnet zurück. Das Originalmanuskript ging verloren und wurde so nur bruchstückhaft überliefert. Die Haupthandlung des Werkes verflechtet das Schicksal des Prinzen Leonce und der Prinzessin Lena, die verlobt sind, ohne sich zu kennen, und beschließen, vor der geplanten Hochzeit zu fliehen. Als sie sich auf der Flucht zufällig treffen, verlieben sie sich ineinander, heiraten im Königreich des Prinzen und erkennen sich erst danach als Prinz und Prinzessin. Das Stück präsentiert sich als kunstvolles Kaleidoskop literarischer Anspielungen und Zitate. Büchners Drama "Woyzeck", das 1876 erschien, ist in drei handschriftlichen Fragmenten überliefert. Es handelt vom Soldaten Woyzeck, der seine Freundin Marie und deren gemeinsames Kind zu unterstützen versucht und dabei als Versuchsperson von einem Arzt und seinem Vorgesetzten missbrauchtwird. Als er erfährt, dass Marie ihn betrügt, bringt er sie um. Das Werk gehört zu den meistgelesensten und -gespielten Texten der dramatischen Weltliteratur. Es wirkte wie kein anderes Stück des 19. Jhdts. in die Dichtungsgeschichte des 20. Jhdts. ein.
Ist "Leonce und Lena" etwas für Kinder? Mit Lisbeth Zwerger und Jürg Amann schon.
Von Hubert Spiegel
Kinder wissen, was Langeweile ist: ein unbehaglicher Zustand, in dem man nichts mit sich anzufangen weiß. Minuten dehnen sich zu Stunden, und die Stunden fühlen sich an, als wären es ganze Tage. Man spürt die Leere als ein bleiernes Gewicht. Wie kann das sein? Was wiegt die Leere? Müsste sie sich nicht eigentlich ganz leicht anfühlen?
Das sind Leonce-Gedanken, die man haben kann, ohne Georg Büchners Stück "Leonce und Lena" zu kennen. Langeweile kann zu Melancholie führen und diese zu Überdruss und dieser wiederum zu Spott, Bitterkeit und Verzweiflung. Erst ist es nur Langeweile, dann ist es Weltschmerz. Erst nagt er nur, dann glaubt man, dass man daran sterben könnte. Erst ist es nur ein vages Interesse, dann die erste, die große, die einzige Liebe. Kinder kennen das, nur sind sie dann schon keine Kinder mehr. Aber erwachsen sind sie auch noch nicht.
Seitdem Georg Büchner 1836 sein Bühnenstück "Leonce und Lena" zu einem Preisausschreiben geschickt hat - allerdings zu spät, die Frist war abgelaufen, und Büchner erhielt sein Schreiben ungeöffnet zurück -, hat es viele Deutungen erfahren: ein Lustspiel in der Tradition der romantischen Komödie mit "bühnenwidrigem Mondscheinflimmern", eine Satire auf die Kleinstaaterei der Duodezfürstentümer, eine gesellschaftskritische Todeskomödie aus Anlass einer Fürstenhochzeit zwischen einem hessischen Thronfolger und einer bayerischen Prinzessin, die 1833 geschlossen wurde. Bei Büchner handelt es sich um die Märchenkönigreiche Popo und Pipi.
Prinz Leonce vom Reiche Popo und Prinzessin Lena vom Reiche Pipi sollen heiraten, haben einander aber noch nie gesehen. Beide flüchten, Leonce in Begleitung des Hofnarren Valerio, Lena zusammen mit ihrer Gouvernante. Es kommt zu einer zufälligen Begegnung, sie verlieben sich ineinander, ohne zu wissen, mit wem sie es zu tun haben. Ein keuscher Kuss im Mondschein auf Lenas geschlossene Augen erscheint Leonce als höchste Erfüllung: "Zu viel!, zu viel! Mein ganzes Sein ist in dem einen Augenblick. Mehr ist unmöglich." Er will sich umbringen, wird aber von Valerio daran gehindert, der das Paar an den Hof bringt, wo es unerkannt und stellvertretend für die als vermisst geltenden Brautleute verheiratet wird. Das Märchen nimmt ein gutes Ende.
Jetzt haben der in diesem Jahr verstorbene Schweizer Schriftsteller Jürg Amann und die Illustratorin Lisbeth Zwerger ein Kinderbuch daraus gemacht. Amann hat Büchners Stück einfühlsam gekürzt und bearbeitet, und Lisbeth Zwerger hat mit Marmorpapier und Buntpapieren aus dem neunzehnten Jahrhundert bezaubernde Collagen geschaffen. "Leonce und Lena", wie alle Stücke Büchners nicht leicht zu inszenieren, ist auf dem Theater häufig eine Enttäuschung. Lisbeth Zwergers Collagen wirken wie Bühnenbilder einer Inszenierung, die man gern gesehen hätte. Wie alt muss man sein, um all die Anspielungen und Wortspiele in diesem Stück zu verstehen? Und wie viel bleibt, wenn man sie nicht versteht? Eines sicherlich: die Leonce-und-Lena-Gedanken. Und das ist mehr als genug.
Georg Büchner: "Leonce und Lena."
Illustriert von Lisbeth Zwerger, bearbeitet von Jürg Amann. NordSüd Verlag, Zürich 2013. 64 S., geb., 19,95 [Euro]. Ab 7 J.
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