Autor im Porträt
Daniel Kehlmann
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Sorgt, dass sie nicht zu zeitig mich erwecken
Gebundenes Buch
Ob Gabriel García Márquez, Heimito von Doderer, George Orwell, Salman Rushdie, Karl Kraus oder Jonathan Franzen: Daniel Kehlmann ist als Leser ein scharfsinnig Rühmender, ein kritisch Liebender, ein Lernender. Dasselbe gilt für ihn als Kinogänger, wenn er sich etwa von Michael Haneke oder Lars von Trier begeistern lässt.
Auskunft über den Autor und Zeitgenossen Daniel Kehlmann gibt er in seinen großen Reden. Anlässlich der Entgegennahme des Anton-Wildgans-Preises stellt er sich die Frage, ob er ein österreichischer Autor ist. In der titelgebenden Marbacher Schillerrede denkt er über den historischen Roman nach. Und ein Konzert im KZ Mauthausen wird ihm zum Exempel dafür, dass Kunst keinen Ort abseits von der Welt beanspruchen darf.
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Auskunft über den Autor und Zeitgenossen Daniel Kehlmann gibt er in seinen großen Reden. Anlässlich der Entgegennahme des Anton-Wildgans-Preises stellt er sich die Frage, ob er ein österreichischer Autor ist. In der titelgebenden Marbacher Schillerrede denkt er über den historischen Roman nach. Und ein Konzert im KZ Mauthausen wird ihm zum Exempel dafür, dass Kunst keinen Ort abseits von der Welt beanspruchen darf.
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25,00 €
Daniel Kehlmann über Leo Perutz / Bücher meines Lebens Bd.6
Gebundenes Buch
Es ist eine unglaubliche Entdeckungsreise. Daniel Kehlmann, Autor des Weltbestsellers »Die Vermessung der Welt« und des historischen Zauberromans »Tyll«, führt uns tief hinein in das Werk des unbekanntesten Großmeisters der deutschen Literatur: Leo Perutz.
Voller Verehrung, Begeisterung und mit tiefer Kenntnis stellt uns Kehlmann die Bücher jenes Mannes vor, der 1882 in Prag zur Welt kam, in Wien studierte, in Kaffeehäusern schrieb und in derselben Versicherungsanstalt wie Franz Kafka sein Brot verdiente. Leo Perutz war ein bedeutender Vertreter sowohl der großen osteuropäisch-jüdischen Erzähltradition als auch der Wiener Moderne. Sein Meisterwerk ist der Roman »Nachts unter der steinernen Brücke«.
Kehlmann beschreibt eindrücklich, welch tiefe Spuren Perutz in seinem eigenen Werk hinterlassen hat. Und teilt mit uns seine Verblüffung darüber, dass dieser Mann heute nicht zu den berühmtesten Romanciers seiner Sprache gehört. Mit diesem Buch könnte sich das ändern.
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Voller Verehrung, Begeisterung und mit tiefer Kenntnis stellt uns Kehlmann die Bücher jenes Mannes vor, der 1882 in Prag zur Welt kam, in Wien studierte, in Kaffeehäusern schrieb und in derselben Versicherungsanstalt wie Franz Kafka sein Brot verdiente. Leo Perutz war ein bedeutender Vertreter sowohl der großen osteuropäisch-jüdischen Erzähltradition als auch der Wiener Moderne. Sein Meisterwerk ist der Roman »Nachts unter der steinernen Brücke«.
Kehlmann beschreibt eindrücklich, welch tiefe Spuren Perutz in seinem eigenen Werk hinterlassen hat. Und teilt mit uns seine Verblüffung darüber, dass dieser Mann heute nicht zu den berühmtesten Romanciers seiner Sprache gehört. Mit diesem Buch könnte sich das ändern.
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20,00 €
Daniel Kehlmann
Kehlmann, DanielDaniel Kehlmann, 1975 in München geboren, wurde für sein Werk unter anderem mit dem Candide-Preis, dem WELT-Literaturpreis, dem Per-Olov-Enquist-Preis, dem Kleist-Preis, dem Thomas-Mann-Preis und dem Friedrich-Hölderlin-Preis ausgezeichnet, zuletzt wurden ihm der Frank-Schirrmacher-Preis, der Schubart-Literaturpreis und der Anton-Wildgans-Preis verliehen. Sein Roman "Die Vermessung der Welt" ist zu einem der erfolgreichsten deutschen Romane der Nachkriegszeit geworden, und auch sein Roman "Tyll" stand monatelang auf der Bestsellerliste und findet begeisterte Leser im In- und Ausland. Daniel Kehlmann lebt zurzeit in Berlin und New York.Daniel Kehlmann: "Tyll"
Als Narr gegen die Ordnung der Dinge
Daniel Kehlmann greift in seinem neuen Roman die Geschichte des Tyll Ulenspiegel auf und entwirft ein philosophisches Historienpanorama
Gleich mit dem ersten Kapitel bemerkt der Leser: Daniel Kehlmann hat sich in seinem neuen Roman der legendären Figur des Till Eulenspiegel nicht angenommen, um die weithin bekannten Scherze und Tricksereien des Narren abermals nachzuerzählen. Themen wie Tod und Gott, die Frage nach Glauben und Mystik oder das Leben des Untertanen als Spielball größerer Mächte werden in diesem einleitenden Stück zu einem packend erzählten Potpourri vermischt. Tyll Ulenspiegel, wie Kehlmann seinen Helden nennt, erscheint nicht als schnöder Spaßmacher. Vielmehr wird er als mythische Figur mit dämonischem Antlitz eingeführt, die über den Dingen zu schweben scheint und der die Ordnung der Wirklichkeit nichts anhaben kann. Ganz im Gegenteil macht sie sich diese Welt untertan und gestaltet sie nach ihren Regeln.
Kehlmann, der spätestens mit seinem Buch "Die Vermessung der Welt" zu einem Autor von Weltrang wurde, verlegt die Geschichte des "Tyll" in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, also in…mehr
Daniel Kehlmann greift in seinem neuen Roman die Geschichte des Tyll Ulenspiegel auf und entwirft ein philosophisches Historienpanorama
Gleich mit dem ersten Kapitel bemerkt der Leser: Daniel Kehlmann hat sich in seinem neuen Roman der legendären Figur des Till Eulenspiegel nicht angenommen, um die weithin bekannten Scherze und Tricksereien des Narren abermals nachzuerzählen. Themen wie Tod und Gott, die Frage nach Glauben und Mystik oder das Leben des Untertanen als Spielball größerer Mächte werden in diesem einleitenden Stück zu einem packend erzählten Potpourri vermischt. Tyll Ulenspiegel, wie Kehlmann seinen Helden nennt, erscheint nicht als schnöder Spaßmacher. Vielmehr wird er als mythische Figur mit dämonischem Antlitz eingeführt, die über den Dingen zu schweben scheint und der die Ordnung der Wirklichkeit nichts anhaben kann. Ganz im Gegenteil macht sie sich diese Welt untertan und gestaltet sie nach ihren Regeln.
Kehlmann, der spätestens mit seinem Buch "Die Vermessung der Welt" zu einem Autor von Weltrang wurde, verlegt die Geschichte des "Tyll" in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, also in…mehr
Als Narr gegen die Ordnung der Dinge
Daniel Kehlmann greift in seinem neuen Roman die Geschichte des Tyll Ulenspiegel auf und entwirft ein philosophisches Historienpanorama
Gleich mit dem ersten Kapitel bemerkt der Leser: Daniel Kehlmann hat sich in seinem neuen Roman der legendären Figur des Till Eulenspiegel nicht angenommen, um die weithin bekannten Scherze und Tricksereien des Narren abermals nachzuerzählen. Themen wie Tod und Gott, die Frage nach Glauben und Mystik oder das Leben des Untertanen als Spielball größerer Mächte werden in diesem einleitenden Stück zu einem packend erzählten Potpourri vermischt. Tyll Ulenspiegel, wie Kehlmann seinen Helden nennt, erscheint nicht als schnöder Spaßmacher. Vielmehr wird er als mythische Figur mit dämonischem Antlitz eingeführt, die über den Dingen zu schweben scheint und der die Ordnung der Wirklichkeit nichts anhaben kann. Ganz im Gegenteil macht sie sich diese Welt untertan und gestaltet sie nach ihren Regeln.
Kehlmann, der spätestens mit seinem Buch "Die Vermessung der Welt" zu einem Autor von Weltrang wurde, verlegt die Geschichte des "Tyll" in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, also in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts. Es ist eine düstere Zeit, in der Mörderbanden und Söldner durch die verwüsteten deutschen Lande marodieren. Die Pest grassiert. Hungersnöte plagen die Bevölkerung. Der Tod ist überall präsent. Die Welt scheint völlig aus den Fugen geraten. Gleichzeitig ist es eine Zeit des Wandels; das Streben nach wissenschaftlichen Erkenntnissen löst langsam Aberglaube, Hokuspokus und Alchemie ab. So tut sich Raum für eine neue säkulare und aufgeklärte Weltsicht auf.
Tyll ist der Sohn des Müllers Claus Ulenspiegel und wächst in einem Dorf in Norddeutschland auf. Sein Vater ist ein neugieriger Mann, der - für die damalige Zeit ungewöhnlich - lesen kann und der sich mit Medizin, Heilen und Hexerei beschäftigt. Es ist ein armes Dasein, das die Familie fristet, bedroht von schlechten Ernten und häufigen Schicksalsschlägen, die das Leben unsicher und schmerzlich machen. Nach einem Unfall in jungen Jahren beschließt Tyll, dass er nicht sterben will. Er zeigt Talent für das Jonglieren und den Seiltanz. "Tyll tanzt, als hätte er es gelernt, er tanzt, als hätte sein Körper keine Schwere und als gäbe es kein größeres Vergnügen. Er springt und dreht sich und springt wieder, als hätte er nicht gerade erst alles verloren, und es ist so ansteckend, dass ein paar und dann noch ein paar und dann immer mehr von den Zuhörern ebenfalls zu tanzen beginnen."
Hier wächst kein gewöhnlicher Junge heran, sondern einer, der mutig genug ist, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Nach einem tragischen Vorfall verändert sich Tylls Leben für immer. Er muss fliehen. Zusammen mit einer Freundin zieht er hinaus in die Welt, trifft einen Bänkelsänger, dann den grimmigen Pirmin, der den beiden alles über die Kunst der Gauklerei und des Narrentums beibringt. Zum einen erzählt Kehlmann Tylls Odyssee, zum anderen wird das Wirken Tylls in anderen Kapiteln aus der Sicht von weiteren Protagonisten und historischen Figuren wie dem schwedischen König Friedrich V., von dessen Frau Elisabeth Stuart oder von Adam Olearius, dem Gottorfer Hofmathematiker, erzählt. Kehlmann geht es offensichtlich nicht darum, Tylls Leben und Narreteien an den Höfen der damaligen Welt in aller Ausführlichkeit wiederzugeben. Stattdessen entwirft er in einer brennend poetischen Sprache ein episches Historienpanorama, in dem sich die Lebenswege vieler damals berühmter Persönlichkeiten zu einem philosophischen Drama vermengen. Tyll ist in diesem von Kehlmann mit viel Verve erzählten Stück der Narr, der es wagt, die allgemeingültigen Regeln infrage zu stellen. Intuitiv wendet er sich einer anderen, einer neuen Wirklichkeit zu, deren Ordnung am Horizont aufschimmert, die aber für die meisten noch nicht erkennbar ist. Kehlmann ist damit auch ein Buch gelungen, das Zuversicht geben kann - in einer Zeit der Krisen, der Verunsicherung und der Ängste.
Daniel Kehlmann greift in seinem neuen Roman die Geschichte des Tyll Ulenspiegel auf und entwirft ein philosophisches Historienpanorama
Gleich mit dem ersten Kapitel bemerkt der Leser: Daniel Kehlmann hat sich in seinem neuen Roman der legendären Figur des Till Eulenspiegel nicht angenommen, um die weithin bekannten Scherze und Tricksereien des Narren abermals nachzuerzählen. Themen wie Tod und Gott, die Frage nach Glauben und Mystik oder das Leben des Untertanen als Spielball größerer Mächte werden in diesem einleitenden Stück zu einem packend erzählten Potpourri vermischt. Tyll Ulenspiegel, wie Kehlmann seinen Helden nennt, erscheint nicht als schnöder Spaßmacher. Vielmehr wird er als mythische Figur mit dämonischem Antlitz eingeführt, die über den Dingen zu schweben scheint und der die Ordnung der Wirklichkeit nichts anhaben kann. Ganz im Gegenteil macht sie sich diese Welt untertan und gestaltet sie nach ihren Regeln.
Kehlmann, der spätestens mit seinem Buch "Die Vermessung der Welt" zu einem Autor von Weltrang wurde, verlegt die Geschichte des "Tyll" in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, also in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts. Es ist eine düstere Zeit, in der Mörderbanden und Söldner durch die verwüsteten deutschen Lande marodieren. Die Pest grassiert. Hungersnöte plagen die Bevölkerung. Der Tod ist überall präsent. Die Welt scheint völlig aus den Fugen geraten. Gleichzeitig ist es eine Zeit des Wandels; das Streben nach wissenschaftlichen Erkenntnissen löst langsam Aberglaube, Hokuspokus und Alchemie ab. So tut sich Raum für eine neue säkulare und aufgeklärte Weltsicht auf.
Tyll ist der Sohn des Müllers Claus Ulenspiegel und wächst in einem Dorf in Norddeutschland auf. Sein Vater ist ein neugieriger Mann, der - für die damalige Zeit ungewöhnlich - lesen kann und der sich mit Medizin, Heilen und Hexerei beschäftigt. Es ist ein armes Dasein, das die Familie fristet, bedroht von schlechten Ernten und häufigen Schicksalsschlägen, die das Leben unsicher und schmerzlich machen. Nach einem Unfall in jungen Jahren beschließt Tyll, dass er nicht sterben will. Er zeigt Talent für das Jonglieren und den Seiltanz. "Tyll tanzt, als hätte er es gelernt, er tanzt, als hätte sein Körper keine Schwere und als gäbe es kein größeres Vergnügen. Er springt und dreht sich und springt wieder, als hätte er nicht gerade erst alles verloren, und es ist so ansteckend, dass ein paar und dann noch ein paar und dann immer mehr von den Zuhörern ebenfalls zu tanzen beginnen."
Hier wächst kein gewöhnlicher Junge heran, sondern einer, der mutig genug ist, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Nach einem tragischen Vorfall verändert sich Tylls Leben für immer. Er muss fliehen. Zusammen mit einer Freundin zieht er hinaus in die Welt, trifft einen Bänkelsänger, dann den grimmigen Pirmin, der den beiden alles über die Kunst der Gauklerei und des Narrentums beibringt. Zum einen erzählt Kehlmann Tylls Odyssee, zum anderen wird das Wirken Tylls in anderen Kapiteln aus der Sicht von weiteren Protagonisten und historischen Figuren wie dem schwedischen König Friedrich V., von dessen Frau Elisabeth Stuart oder von Adam Olearius, dem Gottorfer Hofmathematiker, erzählt. Kehlmann geht es offensichtlich nicht darum, Tylls Leben und Narreteien an den Höfen der damaligen Welt in aller Ausführlichkeit wiederzugeben. Stattdessen entwirft er in einer brennend poetischen Sprache ein episches Historienpanorama, in dem sich die Lebenswege vieler damals berühmter Persönlichkeiten zu einem philosophischen Drama vermengen. Tyll ist in diesem von Kehlmann mit viel Verve erzählten Stück der Narr, der es wagt, die allgemeingültigen Regeln infrage zu stellen. Intuitiv wendet er sich einer anderen, einer neuen Wirklichkeit zu, deren Ordnung am Horizont aufschimmert, die aber für die meisten noch nicht erkennbar ist. Kehlmann ist damit auch ein Buch gelungen, das Zuversicht geben kann - in einer Zeit der Krisen, der Verunsicherung und der Ängste.
Interview mit Daniel Kehlmann zum Roman "Tyll"
Interview mit Daniel Kehlmann zum Roman "Tyll"
Gleich eine Frage vorweg: Wurden Sie im Deutschunterricht in der Schule auch mit Nacherzählungen von Till Eulenspiegels Scherzen malträtiert? Begleitet Sie Till also schon sehr lange? Oder sind Sie erst kürzlich auf ihn gestoßen?
Daniel Kehlmann: Er begleitet mich, seitdem ich als Kind Erich Kästners Nacherzählung gelesen habe. Später habe ich dann Charles de Costers großen Roman "Ulenspiegel" in den Niederlanden gelesen. Aber in der Schule ist er mir zum Glück nie begegnet, sonst hätte ich mich wahrscheinlich von ihm ferngehalten. Schule hat einfach diesen Effekt, das ist schade, aber man kann dagegen nichts tun.
Was fasziniert Sie an der Figur des Till Eulenspiegel, dem eine historische Figur aus dem 14. Jahrhundert zugrunde liegen soll, die im niedersächsischen Mölln gelebt hat?
Daniel Kehlmann: Er ist rätselhaft und anarchisch. Lustig ist er nicht mehr wirklich für uns, er verkörpert eher der Geist des Humors selbst, aber er ist nicht jemand, über den wir wirklich noch lachen können. Es war vor allem diese unheimliche Dimension, die mich gereizt hat, ich verstehe meine…mehr
Gleich eine Frage vorweg: Wurden Sie im Deutschunterricht in der Schule auch mit Nacherzählungen von Till Eulenspiegels Scherzen malträtiert? Begleitet Sie Till also schon sehr lange? Oder sind Sie erst kürzlich auf ihn gestoßen?
Daniel Kehlmann: Er begleitet mich, seitdem ich als Kind Erich Kästners Nacherzählung gelesen habe. Später habe ich dann Charles de Costers großen Roman "Ulenspiegel" in den Niederlanden gelesen. Aber in der Schule ist er mir zum Glück nie begegnet, sonst hätte ich mich wahrscheinlich von ihm ferngehalten. Schule hat einfach diesen Effekt, das ist schade, aber man kann dagegen nichts tun.
Was fasziniert Sie an der Figur des Till Eulenspiegel, dem eine historische Figur aus dem 14. Jahrhundert zugrunde liegen soll, die im niedersächsischen Mölln gelebt hat?
Daniel Kehlmann: Er ist rätselhaft und anarchisch. Lustig ist er nicht mehr wirklich für uns, er verkörpert eher der Geist des Humors selbst, aber er ist nicht jemand, über den wir wirklich noch lachen können. Es war vor allem diese unheimliche Dimension, die mich gereizt hat, ich verstehe meine…mehr
Interview mit Daniel Kehlmann zum Roman "Tyll"
Gleich eine Frage vorweg: Wurden Sie im Deutschunterricht in der Schule auch mit Nacherzählungen von Till Eulenspiegels Scherzen malträtiert? Begleitet Sie Till also schon sehr lange? Oder sind Sie erst kürzlich auf ihn gestoßen?
Daniel Kehlmann: Er begleitet mich, seitdem ich als Kind Erich Kästners Nacherzählung gelesen habe. Später habe ich dann Charles de Costers großen Roman "Ulenspiegel" in den Niederlanden gelesen. Aber in der Schule ist er mir zum Glück nie begegnet, sonst hätte ich mich wahrscheinlich von ihm ferngehalten. Schule hat einfach diesen Effekt, das ist schade, aber man kann dagegen nichts tun.
Was fasziniert Sie an der Figur des Till Eulenspiegel, dem eine historische Figur aus dem 14. Jahrhundert zugrunde liegen soll, die im niedersächsischen Mölln gelebt hat?
Daniel Kehlmann: Er ist rätselhaft und anarchisch. Lustig ist er nicht mehr wirklich für uns, er verkörpert eher der Geist des Humors selbst, aber er ist nicht jemand, über den wir wirklich noch lachen können. Es war vor allem diese unheimliche Dimension, die mich gereizt hat, ich verstehe meine Tyll-Figur selbst nicht, weder begreife ich ihre Motivationen, noch ihre Handlungen und Ansichten. Es war fast so, als hätte Tyll mich ausgesucht, nicht ich ihn.
In Ihrem Roman erfinden Sie die Biografie des Tyll Ulenspiegel neu und verlegen sein Leben in die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs, also ins 17. Jahrhundert - eine düstere Zeit, in der moralische Regeln und die Weltsicht der Vernunft aus den Angeln gehoben werden. Ist Tyll jemand, der sich gegen dieses Chaos und diese Abgründe stemmt?
Daniel Kehlmann: Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Er versucht, in dieser dunklen Zeit zu überleben. Er ist ganz gut darin, er gedeiht sogar. Er macht die Welt nicht schlechter, aber er ist auch nicht daran interessiert, sie besser zu machen. Er will leben. Und das gelingt ihm.
Gleichzeitig hält Tyll den Menschen mit seinen Scherzen ihre Niederträchtigkeiten und Unzulänglichkeiten vor. Ist er so etwas wie ein fatalistischer oder dämonischer Humanist?
Daniel Kehlmann: Mein Tyll ist sicher mehr dämonisch als Humanist, aber er ist auch nicht bösartig; er hat sadistische Züge, aber Menschen, denen es schlecht geht, tut er normalerweise nichts an.
Wie hat sich die Arbeit an dem Buch gestaltet? Haben Sie eingehend über Tills Leben und die Welt des 17. Jahrhunderts recherchiert?
Daniel Kehlmann: Vor allem über die Welt des 17. Jahrhunderts - jahrelang. Hätte ich vorher gewusst, wie schwierig das ist, wie fremd diese Welt ist, ich hätte es wahrscheinlich nicht unternommen. Eine vor-aufklärerische Welt, in der praktisch jeder an Magie glaubt und niemand je Wasser trinken kann (alle Brunnen waren kontaminiert) - eine sehr fremde und durchwegs alkoholisierte Welt, in die man sich schwer hineinversetzen kann, aber gelingt es einem, istes ein großes geistiges Abenteuer.
Bei der Lektürehat man den Eindruck, dass der Schreibprozess Ihnen sehr viel Spaß gemacht haben muss - es findet sich sehr viel unterschwelliger Humor in Ihrer Sprache, die Szenen pochen vor Lebendigkeit. War der Schreibprozess tatsächlich so leicht, wie er wirkt?
Daniel Kehlmann: Teilweise ja, dann wieder über weite Strecken nicht. Ich habe vier Jahre an dem Buch gearbeitet, aber für die letzten zweihundert Seiten habe ich nur wenige Monate gebraucht. Es war zugleich das Schwerste und dann am Ende plötzlich das Leichteste all meiner Bücher.
Der Roman spielt in den Zeiten der Glaubenskriege - Tyll ist niemand, der sich religiösen Ordnungen unterwerfen würde, er tänzelt über den Ordnungen und scheint nicht von dieser Welt zu sein, beflügelt von einer nahezu übernatürlichen Lebenskraft. War es Ihnen auch ein Anliegen, die Kraft des Irrationalen, des Geheimnisvollen und Magischen zu beschwören?
Daniel Kehlmann: Das geschieht ganz von selbst, wenn man sich ins 17. Jahrhundert versetzt. Wie gesagt, jedermann glaubte an Magie, die Aufklärung war noch weit entfernt, da hat man es ganz von selbst mit der Kraft des Geheimnisvollen und des Magischen zu tun - und man muss sich dem eher entgegenstellen. Zum Beispiel war mir klar, dass es in meinem Buch keine Hexen geben dürfte. Die Hexenprozesse sind ein furchtbares historisches Unrecht, unzählige Menschen wurden auf unsagbare Art gefoltert und getötet, da darf man sich dann nicht der Folklore hingeben, die Hexen beim Erzählen zu etwas Realem zu machen. Es gibt Magie in meinem Buch, aber Hexen gibt es nicht!
Die Welt, die Sie im Buch beschreiben, ist aus den Fugen geraten. Man ist gewillt, Ihr Buch auch als Interpretation für unsere Welt zu sehen, in der die Verheißungen des Liberalismus an die Grenzen der Realität gestoßen zu sein scheinen, in der Kriege, Krisen und Terror neue Unsicherheiten bringen. Wenn Tylls Wirken und Leben ein Sinnbild für die Macht der Kunst ist: Kann die Kunst in unruhigen Zeiten helfen, eine Orientierung zu geben? Oder ist die Macht der Kunst nur ein fauler Trost?
Daniel Kehlmann: Sie ist vielleicht der einzige Trost, aber nur solange man der Gefahr entkommt. Das schafft Tyll ja immer wieder. Ich muss zugeben, dass mir die Arbeit an dem Roman dabei geholfen hat, mit den täglichen Schlagzeilen fertigzuwerden. Wir sehen voll Schaudern nach Syrien, aber im Dreißigjährigen Krieg waren wir Syrien, und ganz Europa versank in einem Schrecken ohne Ende. Davon zu erzählen gibt einem historische Perspektive, man erschrickt dann nicht über alles gleich so sehr. Zugleich weiß man auch, wie fragil die Ordnung ist und wie schnell die Katastrophe da sein kann.
Gleich eine Frage vorweg: Wurden Sie im Deutschunterricht in der Schule auch mit Nacherzählungen von Till Eulenspiegels Scherzen malträtiert? Begleitet Sie Till also schon sehr lange? Oder sind Sie erst kürzlich auf ihn gestoßen?
Daniel Kehlmann: Er begleitet mich, seitdem ich als Kind Erich Kästners Nacherzählung gelesen habe. Später habe ich dann Charles de Costers großen Roman "Ulenspiegel" in den Niederlanden gelesen. Aber in der Schule ist er mir zum Glück nie begegnet, sonst hätte ich mich wahrscheinlich von ihm ferngehalten. Schule hat einfach diesen Effekt, das ist schade, aber man kann dagegen nichts tun.
Was fasziniert Sie an der Figur des Till Eulenspiegel, dem eine historische Figur aus dem 14. Jahrhundert zugrunde liegen soll, die im niedersächsischen Mölln gelebt hat?
Daniel Kehlmann: Er ist rätselhaft und anarchisch. Lustig ist er nicht mehr wirklich für uns, er verkörpert eher der Geist des Humors selbst, aber er ist nicht jemand, über den wir wirklich noch lachen können. Es war vor allem diese unheimliche Dimension, die mich gereizt hat, ich verstehe meine Tyll-Figur selbst nicht, weder begreife ich ihre Motivationen, noch ihre Handlungen und Ansichten. Es war fast so, als hätte Tyll mich ausgesucht, nicht ich ihn.
In Ihrem Roman erfinden Sie die Biografie des Tyll Ulenspiegel neu und verlegen sein Leben in die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs, also ins 17. Jahrhundert - eine düstere Zeit, in der moralische Regeln und die Weltsicht der Vernunft aus den Angeln gehoben werden. Ist Tyll jemand, der sich gegen dieses Chaos und diese Abgründe stemmt?
Daniel Kehlmann: Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Er versucht, in dieser dunklen Zeit zu überleben. Er ist ganz gut darin, er gedeiht sogar. Er macht die Welt nicht schlechter, aber er ist auch nicht daran interessiert, sie besser zu machen. Er will leben. Und das gelingt ihm.
Gleichzeitig hält Tyll den Menschen mit seinen Scherzen ihre Niederträchtigkeiten und Unzulänglichkeiten vor. Ist er so etwas wie ein fatalistischer oder dämonischer Humanist?
Daniel Kehlmann: Mein Tyll ist sicher mehr dämonisch als Humanist, aber er ist auch nicht bösartig; er hat sadistische Züge, aber Menschen, denen es schlecht geht, tut er normalerweise nichts an.
Wie hat sich die Arbeit an dem Buch gestaltet? Haben Sie eingehend über Tills Leben und die Welt des 17. Jahrhunderts recherchiert?
Daniel Kehlmann: Vor allem über die Welt des 17. Jahrhunderts - jahrelang. Hätte ich vorher gewusst, wie schwierig das ist, wie fremd diese Welt ist, ich hätte es wahrscheinlich nicht unternommen. Eine vor-aufklärerische Welt, in der praktisch jeder an Magie glaubt und niemand je Wasser trinken kann (alle Brunnen waren kontaminiert) - eine sehr fremde und durchwegs alkoholisierte Welt, in die man sich schwer hineinversetzen kann, aber gelingt es einem, istes ein großes geistiges Abenteuer.
Bei der Lektürehat man den Eindruck, dass der Schreibprozess Ihnen sehr viel Spaß gemacht haben muss - es findet sich sehr viel unterschwelliger Humor in Ihrer Sprache, die Szenen pochen vor Lebendigkeit. War der Schreibprozess tatsächlich so leicht, wie er wirkt?
Daniel Kehlmann: Teilweise ja, dann wieder über weite Strecken nicht. Ich habe vier Jahre an dem Buch gearbeitet, aber für die letzten zweihundert Seiten habe ich nur wenige Monate gebraucht. Es war zugleich das Schwerste und dann am Ende plötzlich das Leichteste all meiner Bücher.
Der Roman spielt in den Zeiten der Glaubenskriege - Tyll ist niemand, der sich religiösen Ordnungen unterwerfen würde, er tänzelt über den Ordnungen und scheint nicht von dieser Welt zu sein, beflügelt von einer nahezu übernatürlichen Lebenskraft. War es Ihnen auch ein Anliegen, die Kraft des Irrationalen, des Geheimnisvollen und Magischen zu beschwören?
Daniel Kehlmann: Das geschieht ganz von selbst, wenn man sich ins 17. Jahrhundert versetzt. Wie gesagt, jedermann glaubte an Magie, die Aufklärung war noch weit entfernt, da hat man es ganz von selbst mit der Kraft des Geheimnisvollen und des Magischen zu tun - und man muss sich dem eher entgegenstellen. Zum Beispiel war mir klar, dass es in meinem Buch keine Hexen geben dürfte. Die Hexenprozesse sind ein furchtbares historisches Unrecht, unzählige Menschen wurden auf unsagbare Art gefoltert und getötet, da darf man sich dann nicht der Folklore hingeben, die Hexen beim Erzählen zu etwas Realem zu machen. Es gibt Magie in meinem Buch, aber Hexen gibt es nicht!
Die Welt, die Sie im Buch beschreiben, ist aus den Fugen geraten. Man ist gewillt, Ihr Buch auch als Interpretation für unsere Welt zu sehen, in der die Verheißungen des Liberalismus an die Grenzen der Realität gestoßen zu sein scheinen, in der Kriege, Krisen und Terror neue Unsicherheiten bringen. Wenn Tylls Wirken und Leben ein Sinnbild für die Macht der Kunst ist: Kann die Kunst in unruhigen Zeiten helfen, eine Orientierung zu geben? Oder ist die Macht der Kunst nur ein fauler Trost?
Daniel Kehlmann: Sie ist vielleicht der einzige Trost, aber nur solange man der Gefahr entkommt. Das schafft Tyll ja immer wieder. Ich muss zugeben, dass mir die Arbeit an dem Roman dabei geholfen hat, mit den täglichen Schlagzeilen fertigzuwerden. Wir sehen voll Schaudern nach Syrien, aber im Dreißigjährigen Krieg waren wir Syrien, und ganz Europa versank in einem Schrecken ohne Ende. Davon zu erzählen gibt einem historische Perspektive, man erschrickt dann nicht über alles gleich so sehr. Zugleich weiß man auch, wie fragil die Ordnung ist und wie schnell die Katastrophe da sein kann.
Kundenbewertungen
Die Vermessung der Welt
Bewertung von unbekanntem Benutzer am 02.02.2007
Es hat Spaß gemacht, das Leben von zwei bedeutenden Wissenschaftlern auf so eine humorvolle Weise zu lesen. Absolut zu empfehlen!!
Die Vermessung der Welt
Ein sehr ausführliches Werk in welchem der Protagonist auf knapp 400 Seiten einen vollständigen Überblick des aktuellen Standes der modernen Wissenschaft abliefert.
Es wird in einer für Laien verständlichen Weise geschrieben, zwar nüchtern und sachlich, dabei ohne größere Längen und nicht an Spannung verlierend.
Der Titel ist etwas irreführend, wissenschaftliche bzw. philosophische Erklärungsversuche nach dem Sinn und den Ursachen unserer Existenz respektive der Frage nach Gott kommen zu kurz.
Ob Kapitel über Krebs und Aids, Genetik, Kontinentalverschiebungen, Ozonschicht oder Wetterprognosen hier wirklich Sinn machen mag jeder Leser für sich selbst beantworten.
Ein Großteil des Buches widmet sich dann aber doch der Astronomie bzw. Kosmologie.
Wer aber schon einige Werke kennt ( Hawking, Gribbin , Davies, o.ä.) wird hier nichts Neues finden.
Aber trotzdem im Ganzen ein umfassendes und empfehlenswertes Buch.
Die Vermessung der Welt
Der Autor beschreibt das Leben zweier deutscher Gelehrter, Alexander von Humboldt und Carl Gauß, die beide, jeweils auf ihre eigene Weise nach der "Vermessung der Welt" streben.
Humboldt bereist die Welt, sammelt, konserviert und archiviert.
Gauß bedient sich daheim allein der Logik der Mathematik und der Physik. Im Alter treffen sich beide und belächeln im geheimen die Methoden des jeweils anderen. Nur Gauß` Sohn erkennt, dass das Zeitalter beider Gelehrter endgültig vorbei ist und bereits etwas Neues wartet.
Wie der Klappentext des Buches verrät, vermischt der Autor "Fakten und Fiktionen" und der unkundige Leser tut sich schwer, beides auseinander zu halten.
Die Befürchtung jedoch, es handelt sich hierbei um eine trockene und langweilige Gegenüberstellung zweier Wissenschaftler, wie sie unterschiedlicher nicht sein können, wird bereits mit dem ersten Satz widerlegt.
Der Roman glänzt vorallem durch seine Sprache, die das Lesen zum reinen Vergnügen macht. Sie ist kurz und bündig, ohne Umschweife. Der Autor verkürzt und läßt aus. Alle Personen sprechen in der indirekten Rede.
Dadurch ist das Buch witzig, voll hintergründigem Humor. Dem Autor gelingt es, ohne viel Worte beim Leser ein lebhaftes und anschauliches Bild zweier Forscher zu hinterlasssen.
Einfach genial.
Gruß Matt.
Lichtspiel
Bewertung von Bewertungswiesel am 01.10.2023
Der neue Kehlmann präsentiert sich auf schwarzem Hintergrund, mit weißen und roten Lettern, also in den Farben der preußischen Fahne. Wir haben es mit einem hochkarätigen historischen Roman zu tun. Er zeigt die Geschichte des deutschen Films, von Stummfilm bis Nachkriegs-Heimatfilm.
Mit Ironie und einem beeindruckenden Gespür für die Schwächen der Menschen schickt uns der Autor auf die Spuren des berühmten Regisseurs G.W. Pabst. Dieser war eine Art Wendehals. Im Herzen politisch links, verfilmte er Brechts „Dreigroschenoper“, lehnte Hitlers Machtergreifung ab, versuchte sein Glück in Paris und Hollywood, konnte sich allerdings, nicht zuletzt aufgrund rudimentärer Englischkenntnisse, dort nicht durchsetzen und landete zunächst aus privaten Gründen wieder in seiner Heimat Österreich, die jetzt Ostmark hieß. Dort ließ er sich von den Nazis vereinnahmen, wobei er sich immerhin von klassischen Propagandafilmen fern hielt und versuchte, einfach weiter gute Filme zu machen. Bis zuletzt redete er sich selbst ein, er kämpfe für die reine Kunst.
Schon der Einstieg in den Roman ist brillant! Wir befinden uns in der Gegenwart, die Perspektive ist die seines, inzwischen senilen Assistenten Wilzek.
Kehlmann liebt die indirekte Rede, dennoch wirken die Dialoge unmittelbar und echt. Atmosphärisch dicht und immer ganz nah am tiefsten Inneren der Menschen kommen nach und nach andere Personen in den Fokus.
Wer sich für das Kino interessiert, findet in diesem Roman, was möglicherweise hinter den Kulissen in den Köpfen der Beteiligten geschah. Wer einen ungewöhnlichen Roman über die Nazizeit lesen möchte, sollte diesen hier nicht auslassen.
Kehlmann ist wieder einmal genial!
Lichtspiel
Bewertung von urmeli am 04.11.2023
Mit sehr gut recherchierten und fundierten Kenntnissen bringt uns Daniel Kehlmann die Welt der Filmschaffenden näher. Georg Wilhelm Pabst war in der Weimarer Republik ein angesehener und erfolgreicher Filmregisseur, sein Film „die freudlose Gasse“ brachte Greta Garbo den Durchbruch. In den 30er Jahren verließen immer mehr Künstler Deutschland und Österreich. Auch Pabst ging nun nach Hollywood, doch er blieb nicht lange. Die Geldgeber hatten das Sagen, er kam mit der Sprache und Kultur nicht zurecht. Da auch seine alte und demente Mutter Hilfe benötigte kam er mit Frau und Sohn wieder zurück. Mit Kriegsausbruch gab es keine Chance mehr auf Ausreise und der deutsche Film, der durch die wenigen noch verbliebenen Filmemacher und das Ausbleiben der amerikanischen Filme am Boden lag, musste mit aller Kraft am Leben erhalten werden. So geriet auch Pabst in die Propagandamaschinerie des dritten Reiches.
Wir erfahren viel über die Produktion eines Filmes, über Künstler und Regisseure der damaligen Zeit. Arrangiert man sich mit dem System, leistet man Widerstand oder wird man zum Täter, so wie Jakob, Pabst Sohn, der als Kind zum fanatischen Nazi wird. Oder wie Gertrude, Pabst Frau, die fast daran zugrunde geht.
Aus verschiedenen Perspektiven wird hier ganz hervorragend, teils mit kurzen Abschweifungen, die Zeit vor, während und nach Kriegsende die Welt des Filmemachens erzählt. Das Meisterwerk, das Pabst immer anstrebte ist Daniel Kehlmann gelungen.
Lichtspiel (eBook, ePUB)
Bewertung von yellowdog am 14.10.2023
Opulent und eindringlich
Lichtspiel ist ein Buch über den Filmregisseur G.W.Pabst. Es ist aber nicht nur eine Biografie, sondern vielmehr über den Weg in Verstrickung und innerlicher Korruption.
Es ist ein hochkomplexes, opulentes Werk. Daniel Kehlmann hat sich wirklich mit dem deutschen Film der dreißiger und vierziger Jahre beschäftigt und es gelingt ihm, diese Zeit zu verdeutlichen.
Mich hat der deutsche Film auch immer sehr interessiert und kenne daher Bücher über Fritz Kortner, Heinz Rühmann, über Veit Harlan, Emil Jannungs und mit Klaus Manns Mephisto gibt es schon einen großen Roman über Verführung in dieser Zeit.
Daniel Kehlmann fügt sich gut in diesen Reigen guter Bücher ein.
Es gibt eine folgelogischen Aufteilung in die Abschnitte Draußen, Drinnen und Danach.
Man spürt die Bedrängnis, in der sich G.W.Pabst nach seiner teilweise nur unfreiwilligen Rückkehr nach Österreich befindet. Dazu dient Daniel Kehlmanns Technik, aus den Gedanken der Hauptfigur zu erzählen. Teilweise wird auch aus anderen Perspektiven erzählt. Das formt ein komplettes Bild. Ich denke, dass kann nicht jeder so schreiben.
Eindringlich werden die Szenen, in denen sich Pabst ganz im Schaffen seiner Filme verliert. Manche Passagen werden nicht so schnell vergessen sein.
Lichtspiel
Großartig! Nachdem ich Daniel Kehlmanns neuen Roman "Lichtspiel" zu Ende gelesen habe, frage ich mich, warum ich eigentlich überhaupt andere Bücher von anderen Autor:innen lese... was wohl nur daran liegen kann, dass ich offensichtlich mehr lesen als Kehlmann schreiben kann. Und seinem neuen Werk merkt man das Ausgereifte in jeder Zeile an. Sprachlich hervorragend, exzellente Komposition und dabei noch absolut filmreif. Und schließlich geht es ja auch um Letzteres. So lautet es im letzten Drittel des Romans: "Die Zeit war aus den Fugen, überall, und man musste einen Weg finden, seine Arbeit zu machen. In diesem Moment bebte die Erde. Ein ziehendes Gefühl lief ihnen durch die Glieder, man glaubte zu fallen." 'Lichtspiel' umfasst die Zeitspanne von der 'Einverleibung' Österreichs ins Reich bis in die frühe Nachkriegszeit. Der deutsche Regisseur G.W.Pabst kehrt aus Sorge um die hilfsbedürftige Mutter und auch wegen seines nur mäßigen Erfolges in Amerika mit Frau und Sohn zurück nach Deutschland / Österreich. Weil schon sehr bald die Grenzen dicht sind, gelingt die Rückreise in die USA nicht mehr und Pabst wird von den Nzis vereinnahmt, ist gezwungen, 'deutsche Filme' zu machen. Kehlmann versteht es - auch unter zuhilfenahme wechselnder Erzählperspektiven - den Konflikt Pabst's, seinen Versuch die Passion des Regieführens nicht der totalen Anpassung an die Forderungen der Nazis zu opfern, präzise zu beschreiben. Dabei überlässt Kehlmann die Bewertung von Pabst's Verhalten der Leserschaft. Was gut und genau richtig ist. Immer wieder tauchen Berühmtheiten des deutschen Films auf und viel Aufmerksamkeit wird Pabst's verschollenem Film aus den letzten Kriegstagen gewidmet - die Welt bastelt an ihrem Untergang und Pabst dreht einfach nur einen Film... Gerahmt wird die eigentliche Geschichte durch Szenen aus der nahen Gegenwart... der ehemalige Kameramann, wegen seiner Demenz inzwischen wohnhaft in einem Seniorenstift, wird in eine populäre Fernsehshow eingeladen, in der es weniger um ihn selbst sondern vielmehr um den Regisseur Pabst und seine Zusammenarbeit mit ihm geht; und natürlich wird es zu einem peinlichen Auftritt, weil der Kameramann die ihm gestellten Fragen nicht beantworten und sich nicht mehr recht erinnern kann... Und so ist die eigentliche Geschichte gerahmt von 'Vergessen'. Und damit dies NICHT geschieht, hat Kehlmann uns mit "Lichtspiel" ein Werk geschenkt, dass uns förmlich zwingt, wieder hinzuschauen, sich nicht nur an ein Damals zurückzuerinnern, welches beinahe das freie Wesen der Kunst der rein propagandistischen, ideologisierten Unterhaltung geopfert hätte, sondern auch das Hier und Heute in den Blick zu nehmen und wachsam zu sein gegenüber Rchtsruck und Populismus. Für mich der bislang beste Roman in diesem Jahr!!!
Die Vermessung der Welt
Die Vermessung der Welt habe ich mir eigentlich nur auf Empfehlung meines ehemaligen Deutschlehrers gekauft um eben aktuelle Literatur zu genießen. Als ich dann erfahren habe, dass es um den Mathematiker Gauss geht (dessen Rechenwege ich in der Schule verflucht habe) und um einen Forscher namens Humboldt, war ich irgendwie nicht mehr so interessiert... Allerdings habe ich es dann aus Neugier angefangen zu lesen und dann auch nicht mehr aus der Hand legen können! Schon in den ersten Seiten schafft Kehlmann es einen zu fesseln, indem er Gauss, das Genie, als menschlichen Versager outet und zwar in überspitzt sarkastischer Darstellung, dass man jetzt nicht weiß, ob diese Tatsache zum lachen oder zum weinen ist. Die Schwächen von Genies wie Humboldt und Gauss werden gnadenlos aufgedeckt und bilden einen schönen Kontrast zu ausbreitenden Entdeckungen und Erkenntnissen, die man teilweise sowieso nicht verstehen kann, weil das Fachwissen nicht genug ausgebildet ist.
Also ich habe mich beim Lesen köstlich amüsiert und kann diesen Roman nur weiterempfehlen. Allerdings sollte man eine Schwäche für Ironie und Sarkasmus haben und Kehlmanns Aussagen nicht allzu Ernst nehmen, sondern sollte ihnen mit Humor entgegensehen können. Ich persönlich finde, dass die Figuren, also die Darstellung zweier bedeutender Aufklärer der Wissenschaft gar nicht so bedeutend ist, sondern der Schwerpunkt eher auf ihr Verhalten, die sprachliche Umsetzung Kehlmanns und die Botschaft des Romans, also primär das Altern zu legen ist.
Lichtspiel
Gustav Gründgens, Heinz Rühmann, Wilhelm Furtwängler - Geschichten der Stars der NS-Zeit wurden schon viele erzählt. Auf den ersten Blick scheint es, dass DANIEL KEHLMANN ihnen mit der des österreichischen Regisseurs G.W.Pabst eine weitere hinzufügt.
Doch was Daniel Kehlmann daraus macht, ist im wahrsten Sinne großes Kino. Bis zur Comicreife überzeichnete Charaktere, scharf- und doppelzüngige Schlagabtausche, Komik, bei der das Lachen schon unterhalb des Halses stecken bleibt, rasante Schnitte, schwindelerregende Perspektivwechsel. Ich hatte das Gefühl, mich in einem Kinosessel festschnallen zu müssen, aber nicht, um einem betulichen Unterhaltungs- oder Durchhaltefilm der nazideutschen Propagandamaschinerie zu folgen, sondern in einem Action-Abenteuer der 2000er Jahre.
Nun kann man sich fragen, ob das der Sache dient. Doch was ist eigentlich die Sache? Zunächst mal die vielleicht einzigartige und auch verstörende Geschichte des österreichischen Regisseurs G.W.Pabst zu erzählen. Pabst machte sich in Zeiten der Weimarer Republik unter dem Spitznamen „Der Rote Pabst“ mit pazifistischen linksorientierten Filmen einen Namen, war nach der Machtübernahme 1933 bereits in Amerika und Frankreich erfolgreich und ist durch eine Verkettung verschiedener Umstände 1939 nach Österreich zurückkehrt und geblieben. Und arbeitete. Drehte auf Wunsch und Geheiß von Joseph Goebbels persönlich Filme mit „subtilen Propagandatendenzen“ (Wikipedia).
Daniel Kehlmann lässt ihn sagen: „Die Zeiten sind immer seltsam. Kunst ist immer unpassend. Immer unnötig, wenn sie entsteht. Und später, wenn man zurückblickt, ist sie das Einzige, was wichtig war.“ S. 366
Warum? Warum, fragt man sich die ganze Zeit und auch Daniel Kehlmann sagt in einem Interview, dass, hätte er EINE Frage, die er G.W.Pabst noch stellen dürfe, es die nach dem Warum seiner Rückkehr wäre. Warum tut er sich und seiner Familie das an? Lässt seinen Sohn unter der Nazipropaganda groß, seine Frau fast verrückt vor Angst und Unwohlsein mit dem täglichen Arrangement werden?
Ein lupenreiner Opportunist? Wie weit ist Opportunismus – gerade in der Kunst - ENTschuldbar? Wie weit darf man gehen – für die Kunst? Wann beginnt Schuld? Wenn die Antwort auf diese Fragen so einfach wäre!
Diese Fragen ins Heute zu holen ist meiner Meinung nach die zweite wichtige Sache an diesem Roman. Wie versetzt man der historischen Kulisse einen Anstrich, mit dem uns das Spiel zwischen Macht und Manipulation vs. Anpassung und Duldung direkt vor die Füße fällt? Durch Fiktion, Überzeichnung, Witz, Slapstik, Magie, Illusion und Desillusion, Licht- und Schattenspiele! Das ist nichts zum Wohlfühlen, keine Geschichte, die einem das Herz öffnet. Das ist eine Geisterbahnfahrt durch die Abgründe der menschlichen Seele unter gruppendynamischen Zwängen – nicht nur in totalitären Systemen. Mitreißend erzählt. Fast 500 Seiten ohne einen Moment der Langeweile, selbst wenn das Personal am Set zuweilen etwas unübersichtlich wird und mir nicht jede Szene ihren Sinn erschließt. Wer Freude am Googlen und Faktencheck beim Lesen hat, wird hier auf seine Kosten kommen. Es geht aber auch ohne und wird zum Genuss, wenn man sich dem Sog dieses Spielfilms … äh … Romans überlässt.
Lichtspiel
Bewertung von amara5 am 27.10.2023
Kunst im Grauen
Der deutsch-österreichische Bestseller- Autor Daniel Kehlmann legt mit „Lichtspiel“ einen grandiosen Roman vor, in dem er biografische Eckdaten des großen Filmregisseurs Georg Wilhelm Pabst (1885-1967) mit einer fiktiven Geschichte über das Überleben im Nationalsozialismus verbindet. Brillant komponiert, düster-lakonisch getroffen und absolut packend zeigt er, wie angepasste Kunst durch Unterwerfung unter der NS-Diktatur weiterlaufen kann und wie Menschen schleichend zu Mitläufern wurden.
Aus auktorialer und wechselnder Erzählperspektive schildert Daniel Lehmann, wie der gefeierte und links angehauchte Stummfilm-Regisseur („Die freudlose Gasse“, „Die Dreigroschenoper“ oder „Die weiße Hölle vom Piz Palü“) G.W. Pabst zuerst in Sicherheit „draußen“ im Exil in den USA war, dort aber keinen adäquaten Einstieg in die Filmbranche erhält. Zusammen mit seiner Frau Trude und seinem Sohn Jakob tut er das Unglaubliche und geht zurück ins angeschlossene Österreich – auch weil seine geliebte Mutter krank ist. Wieder „drinnen“ im Nationalsozialismus, werden bald die Grenzen geschlossen, der Zweite Weltkrieg beginnt und die Familie kann nicht wieder zurück – sie muss innerhalb des NS-Systems überleben und Pabst wird bald von Nazi-Propagandaminister Goebbels unter übler Androhung als Filmemacher rekrutiert. Schon bald fügt sich der Meister des Filmschnitts und G.W. Pabst will erneut große Kunst erschaffen.
„Die Zeiten sind immer seltsam. Kunst ist immer unpassend. Immer unnötig, wenn sie entsteht. Und später, wenn man zurückblickt, ist sie das Einzige, was wichtig war.“
Finster, eindringlich und mit subtiler Lakonie zeigt sich, wie die Familie sich anpasst: Jakob wird selbst Jung-Nazi, Trude erliegt dem Alkohol, denn nur so erträgt sie die bitteren Begegnungen in ihrem Karrasch-Lesezirkel und Pabst arrangiert sich. Der Roman lebt von der faszinierenden, einzigartigen Sprache, den scharfsinnigen Beobachtungen und den filmischen Beschreibungen – jedes Kapitel ist perfekt aufgebaut und leuchtet zudem mit zahlreichen kinematografischen Details Pabst' Karriere auf. Als kleiner roter Faden dient sein Film „Der Fall Molander“, an dem Pabst besessen mitten im Krieg arbeitet und dessen Material zu Kriegsende verschwunden ist.
Es ist ein grauenhaftes, brutales Setting, in dem die Shoah beginnt und die Deutschen versuchen, durch Angepasstheit zu überleben. Und trotzdem gelingt Kehlmann das Unfassbare, auch ironischen Humor, böse Situationskomik, bizarr-groteske Szenen und große Spannung einzubinden – fast erscheint „Lichtspiel“ selbst als ein intensiv inszenierter Stummfilm, in dem die Protagonisten mit dem Böse ringen und ihre moralische Unschuld verlieren. Ein Highlight, in dem viele schaurige Szenen ergreifend nachhallen.
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