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Top-Rezensenten Übersicht

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Leobiene
Wohnort: 
Düsseldorf

Bewertungen

Insgesamt 25 Bewertungen
Bewertung vom 08.05.2025
Desolation Hill
Disher, Garry

Desolation Hill


sehr gut

Mit Desolation Hill präsentiert uns Disher seinen vierten Roman um den geschassten Constable Hirschhausen, genannt Hirsch. Er hat ein riesiges Gebiet zu patrouillieren und die Fahrten sind eher ungemütlich, weil sie über Schotterpisten führen. Das Land, ca. 2 Stunden von Adelaide entfernt, ist von Landwirtschaft und Tierhaltung geprägt.
Gleich mehrere Delikte beschäftigen Hirsch: ein verschwundener Student aus Belgien, eine verbrannte Leiche in einem Koffer und die Tochter seiner Freundin, die gemobbt wird. Die vielen Protagonisten lassen das Buch manchmal unübersichtlich werden, aber gegen Ende laufen die Fäden zusammen. Insgesamt finde ich das Buch zu gemächlich und es hat mich nicht so richtig gepackt wie die Vorgänger. Das Cover hingegen ist fantastisch mit großem Wiedererkennungswert der Serie.

Bewertung vom 26.04.2025
Pearly Everlasting
Armstrong, Tammy

Pearly Everlasting


ausgezeichnet

Absolutes Highlight
Dieses Buch ist jetzt schon ein Jahreshighlight für mich. Pearly Everlasting wächst in einem Holzfällercamp im Kanada ca. 1918 auf. Ihr Vater ist Koch, die Mutter als Heilerin geschätzt, denn es passieren viele Unfälle. Als ein kleiner neugeborener Bär gefunden wird, stillt die Mutter ihn einfach zusammen mit ihrer kleinen Tochter Pearly zusammen. Die Fotografie eines Naturfotografen hat die Autorin Armstrong zu diesem Buch inspiriert. Pearly und ihr Bärenbruder Bruno wachsen fortan zusammen auf.
Eine Szenerie wie in den frühen John Irving Büchern, absolut faszinierende Landschaftsbeschreibungen und eine spannende, zu Herzen gehende Geschichte machen dieses Buch zu einem Erlebnis. Man möchte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen und am Ende gleich wieder von vorn beginnen. Auch das Cover hat mich sehr angesprochen. Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 24.04.2025
Perlen
Hughes, Siân

Perlen


ausgezeichnet

"Perlen" ist ein bemerkenswertes Debut. Die Protagonistin Marianne erleben wir als Kind und später als Mutter, die ihr Leben lang nach der Mutter sucht und sie betrauert. Als Kind und Teenager gibt sie sich die Schuld am Verschwinden der Mutter. Auch der Polizei kann sie keine zufriedenstellenden Antworten geben und so erfindet sie bei jeder Befragung neue Varianten des Tages. Die Reaktion scheinen die Polizisten nie zufrieden zu stellen und sie zwifelt an sich selbst. Sie durchlebt viele Phasen der Selbstzerstörung und auch der Vater kann sie da nicht rausholen. Erst nach und nach offenbart sich das Schicksal der Mutter.
Das Buch ist in einer sehr sanften und einfallsreichen Sprache geschrieben, man möchte viele Sätze herausschreiben. Das Cover erschließt sich einem nicht auf den ersten Blick. Man muss schon genau hinschauen, dass die Perlen kleine Einblicke geben in Familienbilder. Und so wie die Perlen auf dem Cover entwickelt sich die Geschichte Perle um Perle. Sehr empfehlenswert!

Bewertung vom 13.04.2025
Wut und Liebe
Suter, Martin

Wut und Liebe


ausgezeichnet

Nichts, wie es scheint
Ein Künstler, der seine große Liebe zurück gewinnen will, ein unmoralisches Angebot und viel Geld sind die Zutaten zu diesem neuen, großartigen Suter!
Camilla trennt sich, obwohl sie Noah, einen mittellosen Künstler noch liebt. Sie hat sich ein besseres Leben erhofft und das will Noah ihr nun mit allen Mitteln ermöglichen. Betty, eine sehr wütende, reiche Frau, kommt da grade recht.
Suters Bücher entwickeln einen Sog, in den man sich gern hineinziehen lässt und oft sind die Dinge nicht so wie sie scheinen, oder wie die Protagonisten sie darstellen. Und so lässt auch Noah sich in die Geschichte hinein ziehen und die Dinge nehmen ihren Lauf.
Für mich sind Suters Bücher immer ein Muss und auch diesmal hat er mich nicht enttäuscht. Auch diesmal sind nicht alle Protagonisten die sympatischsten Mitmenschen, aber auch das macht das Suter-Panoptikum der "normalen" Typen aus. Das klassische Diogenes Cover, passend wie immer. Unbedingt empfehlenswert!

Bewertung vom 04.04.2025
Halbinsel
Bilkau, Kristine

Halbinsel


ausgezeichnet

Einfühlsam und ohne Kitsch
Bilkau präsentiert uns ihren zu Recht mit dem Buchpreis der Leipziger Buchmesse ausgezeichneten Buch eine Mutter-Tochter-Beziehung, die auf die Probe gestellt wird.
Nach einem Schwächeanfall und einem offensichtlichen Burnout zieht Linn wieder ins kleine Haus am Wattenmeer zu ihrer Mutter Annett. Durch den frühen und plötzlichen Tod vom Vater und Ehemann waren sie schon früh eine Schicksalsgemeinschaft. Aber erst jetzt mit Anfang 20 begreift die Tochter die Dimension des Verlusts der großen Liebe.
Die Mutter, an das Alleinsein gewohnt, muss sich auf die erneute Anwesenheit und Verletztheit der Tochter erst wieder einlassen, was gar nicht so einfach ist. Herausragend beschreibt Bilkau die inneren Zwiegespräche der Mutter, den Spagat zwischen Fürsorge und Freiheit, den wohl jede Mutter kennt. Egal ob Kleinkind, Teenager oder Erwachsene - die Sorge bleibt und die Kunst des Loslassens bleibt eine Herausforderung.
Schön fand ich auch die Leichtigkeit der Wohngemeinschaft im Nachbarhaus, die beiden, Mutter und Tochter eine neue, freiere Form der Zukunftsgestaltung aufzeigt.
Auch das Cover finde ich sehr gelungen. Ein rundherum empfehlenswertes Buch!

Bewertung vom 12.03.2025
Die Fletchers von Long Island
Brodesser-Akner, Taffy

Die Fletchers von Long Island


gut

Reich und unglücklich
Die Leseprobe war sehr ansprechend und ich habe mich gefreut, weiter lesen zu können. Allerdings verliert sich die Autorin in Langatmigkeit. Zudem sind die Protagonisten wenig sympathisch. Da ist zum einen Oma Phyllis, die ihre Kinder abwertet und schlecht behandelt, damit sie dem Übel der Welt gewachsen sind – eine schreckliche Einstellung. Ihr Sohn Carl, jüdischer, sehr reicher Fabrikant, wird Opfer einer Entführung, es fließt Lösegeld und er kommt äußerlich unbeschadet zurück zur Familie. Phillys redet ihm ein, dass es nur seinem Körper passiert ist und nicht ihm. Damit löst sie ein Familientrauma aus, dass sich fortan durch alle Generationen zieht. Keiner kann das Grauen verarbeiten, es wird geschwiegen.
Ruth kümmert sich nach der Entführung nur noch um ihren paralysierten Mann Carl und die Kinder bleiben sich selbst überlassen. Ihr Sohn Nathan wird ein wenig erfolgreicher Anwalt und ist überängstlich. Beamer ist nach Hollywood geflüchtet und betäubt sich mit Drogen und Dominas. Die jüngste Tochter Jenny, erst nach der Entführung auf die Welt gekommen, ist planlos und aufsässig. Jenny ist mir noch am sympathischsten, da sie sich des Schadens bewusst ist, den ihre Familie ihr angetan hat. Für sie ist das viele Geld mehr Belastung als Privileg.
Diese dysfunktionale Familie kommt zur Beerdigung der Oma Phyllis zusammen und es offenbaren sich nicht überwundene Traumata. Das Buch wird als sehr lustig beworben, was ich nicht nachvollziehen kann. Der herrlich-ironische jüdische Humor fehlt mir gänzlich. Das Cover ist ansprechend. Insgesamt hätten dem Buch ein paar Seiten weniger gut getan.

Bewertung vom 13.02.2025
Bis die Sonne scheint
Schünemann, Christian

Bis die Sonne scheint


gut

80er Zeitreise
Dies war mein erstes Buch von Schünemann, hat er doch bisher hauptsächlich Krimis verfasst. Das Cover zeigt einen jungen Mann in Schlaghosen an ein Auto gelehnt, was einen sofort in die 70er/80er Jahre bringt. Tatsächlich spielt das Buch 1983, der Zeit von Kohl, Volkszählung und den Grünen erstmals im Bundestag.
Eine Familie mit 4 Kindern, die Älteste macht grad Abi und der Jüngste hat noch ein paar Jahre auf der Schule vor sich. Von ihm geht die Erzählung aus, bleibt aber als Figur eher schwammig. Der Vater ist Architekt, verlässt die sichere Stelle als Beamter, macht sich selbständig und geht pleite. Doch der Schein wird bewahrt, nach außen hin ist alles in bester Ordnung, das Geld wird für banale Statussymbole rausgeschmissen. Der Autor verliert sich für meinen Geschmack zu oft in allzu detaillierte Ausführungen über Inneneinrichtungen und Handwerker Arbeiten, was mich etwas gestört hat. Unter dem Strich fand ich die Geschichte nicht packend, eher sehr gemächlich. Dazu trugen auch die Rückblenden in die Kriegszeit und die Jugend der Eltern, bzw. Großeltern bei, die allesamt sehr unkritisch daherkamen. Für Leser von leichten Familiengeschichten geeignet.

Bewertung vom 19.01.2025
Für Polina
Würger, Takis

Für Polina


ausgezeichnet

Zarter Musikroman
Zwei unkonventionelle und unabhängige Frauen, ihre beiden Kinder Polina und Hannes, ein knorriger Heinrich und eine Villa im Moor bei Hannover mit Klavier ist das anfängliche Setting dieses wundervollen Buchs. Auf dem Cover sieht man eine Frau mit entrücktem Gesicht und brav zurück gesteckten Haaren – für mich definitiv weit entfernt von dem Bild, das ich mir von Polina gemacht habe. Hannes ist ein in sich gekehrter Junge, der früh lernt, seine Gefühle in Musik auszudrücken. Er ist ein Jahrhunderttalent. Aber durch den frühen und tragischen Tod seiner Mutter verliert sein Leben den Takt und er zieht sich in die innere Stille zurück, komponiert aber weiter ganze Symphonien in seinem Kopf. Es wird dauern, bis er es schafft, die Musik wieder in sein Leben zu lassen und damit auch Polina.
Nicht mein erstes Buch von Takis Würger, aber für mich sein schönstes. Die Charaktere sind liebevoll gezeichnet und voller Überraschungen. Da ist zum Beispiel Hannes Arbeitskollege und Freund Bosch, ein kantiger bärenhafter Mann mit leuchtender Seele.
Das Buch hat mich von der ersten Seite gepackt und ich bin dankbar für das (fast) offene Ende – dadurch wird es noch länger nachklingen.

Bewertung vom 27.09.2024
Antichristie
Sanyal, Mithu

Antichristie


ausgezeichnet

Befreiungskampf
Das Cover fällt sofort ins Auge: der indische Tiger und die Queen - herrlich farbenfroh.
Dieses wunderbare Buch ist ein atemloser Zeitreise-Ritt durch die Geschichte Indiens mit Protagonisten wie Gandhi (zu der Zeit wenig beliebt mit seiner Gewaltlosigkeit), Sherlock Holmes und uns weniger bekannte historische Persönlichkeiten der indischen Befreiungsorganisation. Mithu Sanyal gelingt es dabei, uns die Personen nahe zu bringen durch ihre Protagonistin Durga, die im Jahr 1906 landet, und zwar im Körper eines Mannes. Sie schafft es mühelos, Feminismus, Befreiungsorganisation, Kolonialismus, die Geschichte Indiens, Rassismus durch ihren feinen Witz zu positionieren. Mit kleinen fantastischen Elementen (ab und an spricht die Asche oder der Wasserkessel zu ihr) bringt sie mich immer wieder zum Lachen.
Dieses Buch ist sicherlich nicht für jede/n geeignet, man braucht einen Moment um reinzukommen. Aber ich wünsche dem Buch viele Leser - mich hat es überzeugt!

Bewertung vom 21.08.2024
Juli, August, September
Grjasnowa, Olga

Juli, August, September


gut

Seltsame Sinnsuche
Olga Grjasnowas neuer Roman spielt in Berlin, auf Gran Canaria und in Israel. Die jüdische Familie der Protagonistin Lou ist aus den ehemaligen Sowjetrepubliken geflohen und lebt zum Großteil in Israel, sie aber mit Mann, Kind, Mutter und einer furchtbaren Schwiegermutter in Berlin. Wie die meisten ihrer Art, haben sie nicht viel mit der jüdischen Religion am Hut. Nun wird ihre Großtante 90 und lädt in ein heruntergekommenes Hotel auf Gran Canaria ein. Was der Klappentext als zynisch und wild beschreibt, kam mir eher lethargisch und langweilig vor. Nur der Alkoholkonsum ist auf dem Titelbild hübsch dargestellt. Leider fand ich die Figuren allesamt nicht besonders intensiv gezeichnet und durchweg unsympathisch. In ihrer Suche nach Wahrheiten, nach der Vergangenheit und nach der Zukunft ihrer Ehe, reist Lou nach Israel. Aber ihre Reise wirkt verfahren, ihre Ziele schwammig und sie lässt sich treiben. Ihre Familie vor Ort hat das Aussitzen und Schweigen in unheilvoller Kombination mit allzu schnellem Beleidigtsein zur Tradition gemacht und die Großtante erfindet ihre Geschichte von mal zu mal neu. Was stimmt und was bildet sie sich ein? Als Leser*in bleibt man ratlos zurück und man fühlt sich unterm Strich mit Belanglosigkeiten konfrontiert, während die wichtigen Dinge unausgesprochen bleiben.