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marcialoup

Bewertungen

Insgesamt 135 Bewertungen
Bewertung vom 18.05.2025
Schweben
Ben Saoud, Amira

Schweben


weniger gut

Schwebende Dystopie

Sasha lebt in der Siedlung. Die Siedlung die niemand verlässt, weil „draußen“ die Welt anders ist. Der Klimawandel ist vorbei, die Menschen, die überlebt haben, leben abgeschottet und untypisch. Sasha hat zum ersten Mal jemanden umgebracht, irgendwie…
Und dann schwenkt die Geschichte zu der namenlosen Frau, die ihr Geld damit verdient, in die Rolle anderer Frauen zu schlüpfen, die es nicht mehr gibt. Sie ersetzt Ehefrauen, Töchter, Schwestern, und imitiert diese für die Hinterbliebenen. Aktuell ist sie Ona, eine arme heruntergekommene Frau, die sich nun in Emma verwandeln muß, die das komplette Gegenteil von Ona ist. Bei diesem Auftrag, sich in Emma zu verwandeln, die die Siedlung angeblich verlassen hat, stößt sie auf Ungereimtheiten in der Beziehung zu Gil, Emma’s Mann, und betritt gefährliches Fahrwasser.
Und wer ist nun Sasha?

Ein dystopischer Roman dessen Cover im genauen Gegenteil erscheint. Die Farben und die Titelschrift versetzen einen eher in die Zeit der 1970er Jahre, fast wie ein erstes karges Computerspiel… Andererseits strahlt es auch eine gewissen Endzeitstimmung in leuchtenden Orangetönen aus!
Mir gefällt das Cover sehr gut, es hat etwas Ungreifbares. Aber der Roman selbst bleibt leider auch irgendwie ungreifbar. Er ist gar nicht so dystopisch wie zunächst gedacht, er hinterfragt Beziehungen und ihre Muster, Abhängigkeiten und Innenleben. Trotzdem sehr distanziert und mir fehlt eine gewisse Tiefe, die auf den wenigen Seiten sicher nicht so leicht herzustellen war, oder, wie es mir scheint, bewußt so gehalten wurde, damit der Leser sich selbst damit auseinandersetzen kann.
Mir hat der Roman leider nicht so gut gefallen!

Bewertung vom 18.05.2025
Vorsehung
Moriarty, Liane

Vorsehung


sehr gut

Tod oder Leben?

Eine alte Dame geht durch die Reihen eines Flugzeuges und sagt den Passagieren voraus, wann sie an welcher Krankheit sterben werden. Bis die Passagiere verstehen, was passiert, ist es schon passiert. Ausgesprochen und Fakt!
Wirklich Fakt?
Werden die Prophezeihungen wirklich eintreten?
Das Leben der Passagiere verändert sich maßgeblich, beeinflusst durch dieses Wissen verläuft es anders als geplant.
Durch die VORSEHUNG der alten Dame, die etwas unerwartet Schreckliches frei gelassen hat, herrscht untereinander Verbundenheit auch über die Flugreise hinaus.
Werden sie wirklich so sterben?
Manchen von ihnen wurde kein langes Leben vorhergesagt, so stünden sie schon kurz vor ihrem Tod…

Liane Moriarty hat in ihrem Roman vielen Protagonisten ein Leben gegeben. Erstaunlicherweise ist es keineswegs schwierig, alle zu verfolgen, denn sie alle lernen wir während des Fluges auf besondere Weise kennen, indem die Autorin sie auf einprägsame Art vorstellt. Es ist mutig von der Autorin, den Anfang des Buches so anders zu gestalten. Dadurch erscheint der Roman zu Beginn etwas außergewöhnlich – bitte von der anfänglichen Schreibweise nicht abschrecken lassen, es hat seinen Sinn und fließt über in eine normale Erzählform!
Die Kapitel wechseln zwischen den Passagieren, deren Leben (oder Sterben) man nach dem Flug weiter verfolgt, und der alten Dame, Cherry heißt sie … Durch ihre Lebensgeschichte entblättert sich nach und nach ihr Geheimnis und sie interagiert auch mit uns Lesern, indem sie uns direkt anspricht!

Liane Moriarty beweist ihr Können, einen seitenstarken Roman mit heikler Thematik spannend und detailliert auszuarbeiten ohne langatmig zu werden. Auch wenn das Thema Tod vorherrschend zu sein scheint, geht es doch hauptsächlich um Leben!

Das Cover gefällt mir außerordentlich gut – ich liebe diese farbspielenden Blautöne und Schmetterlinge sind meine Krafttiere!

Bewertung vom 01.05.2025
Hide Me / Kodiak Echoes Bd.1
Pauss, Julia

Hide Me / Kodiak Echoes Bd.1


gut

Ein kleiner Ort in Alaska und seine Geheimnisse

Eine fesselnde Romantasy erwartet uns in Kodiak Echoes, die uns in den ersten beiden Dritteln des Buches mit moderater Spannung bei Laune hält, um uns im letzten Drittel atemlos von Seite zu Seite huschen zu lassen.

Blair Gallagher alias Brynn Callahan lebt als Software-Entwicklerin ein aktives Großstadtleben und wird durch ein Verbrechen in der Firma plötzlich in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen, das sie in einen kleinen abgelegenen Ort namens Echo Coves in Alaska verbannt. Zunächst macht es ihr zu schaffen, dass sie niemandem die Wahrheit sagen darf und als angebliche Geologie-Studentin in Echo Coves forscht und nebenbei im einzigen Café jobbt. Die Einwohner machen es ihr ebenfalls nicht leicht, Fuß zu fassen, fallen durch merkwürdiges Verhalten auf, und ihren direkten Nachbarn Archer findet Blair anfangs ziemlich uncharmant und so furcheinflößend wie ein Bär. Und ja, mit Bären hat man in Kodiak auch viel zu tun.
Einsamkeit und schlimme Erinnerungen plagen Blair. Echo Coves dagegen wird von einem Mord geplagt, der länger zurückliegt und die Einwohner mit Geheimnissen behaftet.
Blair kommt oft in Bedrängnis auch gefährlicher Begebenheiten und hat wie durch Zufall immer den gleichen Retter in ihrer Nähe.
Die erzählende Sichtweise wechselt zwischen Blair und Archer, die beide auf ihre Art sympathisch sind.
Mit wenigen Worten erfährt man etwas über das indigene Volk der Alutiiq, die in dieser Region ihre Heimat haben. Die Kulisse Alaska’s drapiert die Geschichte mit der nötigen Würze.
Auch wenn die Entwicklung der Spannung oft vorhersehrbar ist, verweben sich später Ungereimtheiten anders als gedacht und lassen Überraschungen zur Auflösung zu.

Das dunkel-waldige Cover zeigt die Undurchdringlichkeit, die wie für Geheimnisse gemacht ist. Mit den blau und grün angehauchten Baumspitzen gefällt mir das Cover sehr gut und ist ein Eyecatcher in der Buchhandlung!

Bewertung vom 27.04.2025
Die geheime Sehnsucht der Bücher
George, Nina

Die geheime Sehnsucht der Bücher


ausgezeichnet

Wortakrobatikreiches Seelenheil durch Bücher


Ich bin wort-verliebt!
Nina George lesen ist wie nach Hause kommen und in einer Bücherblase verschwinden, sich einzukuscheln in eine Decke aus Worten.
Kaum sind die Worte gelesen, saugen sie sich aus den Seiten in die Leser/innen hinein und man ist entzückt und froh über so viel schöne Wörter in Nina’s einzigartiger Tonlage und außerirdischem Wortschatz, dass man sie sich wie ein Kleid überziehen möchte, um sie jederzeit bei sich zu haben.

Man kann sie nur ins Herz und auch in die Arme schließen, die mutige kleine Françoise, die ihr Leben mit einer depressiven Mutter und ohne Vater meistern muß, ohne dabei den Schulkameraden gegenüber befremdlich zu wirken, um nicht in den Mobbingfokus zu geraten. Françoise weiß wenig vom Leben ihrer Mutter, sie muß ihr (Zitat) „die Wahrheit wie lichtscheues Gedärm hervorziehen“.
Françoise, die tapfere Elfjährige, die Wörter und Sprache liebt und ganz viel liest, findet den Weg auf das Bücherschiff, in der Hoffnung Jean Perdu könne mit dem richtigen Buch die Krankheit ihrer Mutter heilen. Doch so einfach ist die Sache nicht.
Pauline, die mit Herz und Seele auf dem Bücherschiff arbeitet, denkt eher daran, ein passendes Buch für Françoise zu finden… obschon sie mit sich selbst genug zu tun hat mit den Schmetterlingen im Bauch, die gleich wieder davonfliegen wollen, während sie mit ihrer Vespa durch Paris fährt und Stammkunden mit Lesestoff beliefert.
Plötzlich ist man selbst dort, träumt sich nach Paris, verzaubert von der Literarischen Apotheke und kehrt so tief in sich selbst ein, um sich zu fragen, welches Buch ist mein eigenes Seelenheil?
Zum Beispiel die Empfehlung an Nadine über drei Bücher, die sie in einer gewissen Reihenfolge lesen soll, um als gestresste Mutter dreier Kinder am Ende doch mal einige Minütchen für sich zu klauen, ist ziemlich nachvollziehbar und gegen alle Arten von Stress wirksam.
Den Büchern wird hier so viel Seele eingehaucht, dass sie beinahe als eigenständige Charaktere daherkommen.
Und dann geht Jean Perdu in sich, um sich der Dame mit Hut zu zeigen. Er erzählt aus seinem Leben, als sei es die Hut-Dame, die ihm ein Buch empfehlen sollte…
Gemeinsam haben sie viele Ideen (gibt es einen solchen Podcast, warum kenne ich ihne nicht?) und man liest sich gern durch ihre Erlebnisse und Schicksale, die allesamt in bewundernder Sprache von Nina George ausgezeichnet komponiert werden.

Den ein oder anderen Abschnitt liest man bewußt und gern mehrmals, weil man Wörtern begegnet, die keinem Alltagsgebrauch unterliegen, die gerade deshalb in einem herzhüpfend Neuronen tanzen lassen, neue Verknüpfungen im Gehirn bilden und Glückseligkeit entstehen lassen.
Ganz viele Sätze wandern zitierend in mein Notizbuch der Unvergessenheit:
(„Ohne dich wäre ich nicht ich oder zumindest ziemlich zerzaust und unfroh“)… (Zitat Widmung), und ich bin um ein weiteres Nina-Buch bereichert, bei dem es schwerfällt, es nach der letzten Seite beiseite zu legen.
Aber dann kann man ja immer noch das Cover stundenlang anschauen, das wie gewohnt mit nur zwei Farbtönen auskommt, wovon eine Farbe immer lila ist!

Bewertung vom 21.04.2025
Ein ungezähmtes Tier
Dicker, Joël

Ein ungezähmtes Tier


ausgezeichnet

Die Juwelen der Pantherin

Joel Dicker ist wieder da und hat eine herrlich verwobene, spannend verstrickte Geschichte mitgebracht, in der die Protagonisten zunächst wie Nachbarn um die Ecke erscheinen, bei denen man einkehren kann und fast wie Freunde aufgenommen wird.
In verschiedenen Zeitebenen erfahren wir genug, um den hochkarätigen Juwelenraub mitzuerleben und den wahren Hintergrund häppchenweise aufzuspüren. Joel Dicker’s Romane umfassen immer einen gewissen Zeitrahmen, in dem wir hin- und herspazieren, um die Protagonisten in ihrem Werdegang zu begleiten und besser zu verstehen. Doch wer wie wo inwiefern involviert ist, bleibt bis zur vorletzten Seite spannend, um auf der letzten Seite aufzuatmen…

Gekonnt spinnt Joel Dicker ein Netz aus normalen Verhältnissen, die nach und nach aufbrechen und Geheimnisse zu Tage bringen.
Greg arbeitet bei der Polizei im Sondereinsatzkommando. Seine Frau Karine kümmert sich um ihre Kinder, Haushalt und eigene Arbeit und beide leben zufrieden im Vorortbereich des Villenviertels. Im Gegensatz zu Sophie und Arpad, die sich im Villenviertel in einem abgelegenen Glashaus am Waldrand gemütlich eingerichtet haben, um ihren Reichtum zu leben. Arpad arbeitete bei einer Bank und Sophie kommt aus reichem Elternhaus. Die beiden Paare kennen sich über deren Kinder und Greg kennt alle noch ein bißchen mehr... Es entsteht Freundschaft zwischen den Paaren und Sophie und Karine werden zu Freundinnen, bis Wahrheiten herauskommen, mit denen niemand rechnet.
Im Hintergrund dieser vorgelebten zunächst heilen Welt wird der Raubüberfall geplant. Wer ihn plant, ist völlig unklar, doch die Täter begleiten uns permanent durch die Seiten.
Zwanzig Tage vor dem Raubüberfall und einige Tage vor Sophie’s vierzigstem Geburtstag geschehen außergewöhnliche Dinge, die den Spannungsbogen stützen. Neunzehn Tage… Harmlose Hundespaziergänge, kleine Ausflüchte um den Schein des Wohlhabenden zu wahren, Stalker und Affären sind vordergründig, abgrundtiefe Intrigen und Geheimnisse verstärken die spätere Entwicklung. Achtzehn Tage…
Siebzehn Tage...

Joel Dicker’s Romane erhalten durch kleine Nebensätze eine besondere Lebendigkeit.
„Mittags in der Boutique“.
Oder „Greg parkte vor der Tür“.
„5.45 Uhr in der Nähe des Glashauses“.
Diese Sätze zu Beginn eines Abschnitts leiten einen Szenenwechsel ein wie er aus einem Drehbuch anmutet und vermittelt so eine bedeutungsvolle Atmosphäre, in der man nahtlos in die neue Situation gleitet.
Die Zeitsprünge sind immer gut nachvollziehbar und vertiefen die Charaktere und Zusammenhänge.
Zwischendurch flachte der Spannungsbogen kurzfristig ab, doch überraschende Bekenntnisse lassen ihn im nächsten Abschnitt schon wieder aufflammen.

Ein ungezähmtes Tier spielt auch eine Rolle, dessen Geschichte mit denen der Protagonisten genauso verwoben ist, wie die anderen ungezähmten Tiere, die nach und nach aus den Seiten springen.
Ein ungezähmtes Tier bekleidet das Milieu der Reichen und Schönen, ähnlich dem Format des Vor-Vorgänger-Buchs Das Geheimnis von Zimmer 622.
Mir gefallen jedoch Joel’s Romane um Marcus Goldman eine Spur besser, nichtsdestotrotz hat er sich schon längst als mein lebensbegleitender Lieblingsautor bewährt!

Ich freue mich schon auf dein Nächstes, Joel!

Bewertung vom 21.04.2025
Die Frau und der Fjord
Strohmeyer, Anette

Die Frau und der Fjord


ausgezeichnet

Wahre Einsamkeit

Die Frau vom Fjord, Gro, hat sofort Spuren in mir hinterlassen und ihren Spuren bin ich in diesem Roman gern gefolgt.
Einzigartige Naturbeschreibungen übermitteln die Stille, die in diesem Fjord, ganz im Norden, in den Lofoten, herrscht und wirken sich beruhigend und geborgen aus.
Sympathisch berührt gleich zu Beginn die Aufnahme des verletzten Vogels, einem Birkenzeisig, in Gro's Obhut und ein zartes Band zwischen Mensch und Tier wird gesponnen.
Überhaupt wird ein beeindruckender Faden gesponnen, der einen in die Geschichte verwickelt.

Gro ist ausgewandert an diesen Fjord, nachdem ihr Mann gestorben war. Sie kehrte der Welt und dem Lärm, der Hektik und der Menschheit den Rücken um sich in Abgeschiedenheit einzunisten. Doch auch hier gibt es ungeahnte Störungen, die den Lebenslauf beeinflussen.

Gro kämpft in der nordisch-abgelegenen Einsamkeit mit sich selbst, aber auch mit den Geistern der Vergangenheit und muss ihre Überwindung begehen, um Menschen, die zu ihr dringen, zu ertragen.
Gro arbeitete als Explorationsforscherin und hatte ein gutes Gespür für Ölvorkommen. Langen Zeiten auf Ölplattformen folgten früher Zeiten Zuhause mit ihrem geliebten Mann Niklas, die im Nachhinein jedoch verschwindend zu wenig waren, nun nachdem Niklas so früh gestorben ist.
Ein Geheimnis nahm er dabei mit, was alles noch schlimmer für Gro macht.
Entgegen ihres Willens sich in ihrem Fjord auf Leute einzulassen, hat Gro doch viele auch wertvolle Begegnungen, die sie unbewusst heilen lassen.

In eleganter Sprache, mit ruhigen Sätzen und bildhaften Beschreibungen formt die Autorin Anette Stromeyer einen imposanten Roman, der in tiefe Entschleunigung entführt.
Durch das Nachwort der Autorin erhält die Geschichte nochmals eine stärkere Bedeutung.

Das Cover hat eine angenehme Ausstrahlung, erinnert an ähnliche Cover mit ebenfalls großartigen Geschichten, und fängt das besondere Farben-Lichtspiel der nördlichen Sphäre ein.

Anette Strohmeyer kommt aus Göttingen, was auch meine Heimatregion ist... Dieses kleine Detail finde ich sympathisch.
Ich hoffe, ihr gelungener, wirklich schöner Roman findet viele Leser/innen!

Bewertung vom 13.04.2025
Wenn die Tage länger werden
Stern, Anne

Wenn die Tage länger werden


sehr gut

Sprachlich feine Qualität

Zwei Erzählstränge schildern Lebensgeschichten, die schon bald zusammenfinden und sich gegenseitig beeinflussen, die Erinnerungen der jeweiligen Protagonisten hervorrufen oder Geheimnisvolles aufdecken und teilweise zeitlich weit zurückreichen.
Anne Stern läßt in ihre Romane gern Aufarbeitungen aus Kriegsjahren einfließen, die daraus prägende Lebensgeschichten entstehen lassen.
In angenehmer Sprache und mit gut gefülltem Wortklang wird ein fast melancholischer Sommer in zwei Melodien angestimmt, eine für die Musiklehrerin Lisa, eine für die Obstbäuerin Ute deren Wege sich in den Sommerferien kreuzen. Gut komponierte Sätze entführen uns in diesen Roman, den man gern in Ruhe lesen möchte, mit einem Apfel im Duft einer Frühsommerwiese, deren Sehnsucht durch das Cover ausgelöst wird, auf dem sich eine in Gedanken versunkene Frau befindet.

Lisa verbringt zum ersten Mal die Sommerferien ohne ihren Sohn Paul, der dieses Jahr mit seinem Vater Janusz nach Polen fährt. Somit hat Lisa einen Sommer für sich allein, den sie zunächst einsam vor sich liegen sieht, bis sie sich ihrer Geige widmet, die repariert werden muß. Die Reparatur führt Hans durch, ein alter Mann, der mit seiner Tochter Ute auf einem abgelegenen Hof wohnt. Ute ist schwer erkrankt, unter anderem durch Pestizide, die ihren Körper schwach und kraftlos machen, und Ute durch dieses Schicksal eigenbrötlerisch werden ließ. Sie ist am liebsten allein, obwohl sie die Arbeit auf dem Hof nicht mehr allein schafft. Lisa dringt unbewußt in diese zweisame Einsamkeit von Ute und ihrem Vater ein und es eröffnen sich Geheimnisse, die geklärt werden wollen. Hans stellt fest, dass das Etikett auf Lisa’s Geige nicht das echte Etikett ist und die Geige eventuell von hohem Wert, vielleicht eine Stradivari, sein könnte, wenn er denn nur das Etikett mal entfernen dürfte. Das möchte Lisa aber nicht und fängt an, in der Vergangenheit ihres Großvaters zu forschen, dem die Geige zu Kriegszeiten gehörte. Ihre Mutter ist jedoch keine große Hilfe, um etwas von früher zu erfahren, ihre Beziehung zueinander ist zwiespältig, kühl und reserviert.
Aber auch Hans ist aufgeregt ob der Tatsache, dass mit der Geige irgendetwas nicht stimmt… Ob das Geheimnis um die Geige gelüftet werden kann?

Bewertung vom 10.04.2025
Unsere Suche nach Zärtlichkeit
Ehrenhauser, Martin

Unsere Suche nach Zärtlichkeit


gut

Antibes, die weinende Frau und eine außergewöhnliche Liebesgeschichte

Am Anfang des Romans kommt man in Kontakt mit einer weinenden Frau am Telefon und Sebastian Dumont, der in der Telefonseelsorge arbeitet. Dumont ist ein einfühlsamer Mensch und guter Zuhörer, feinfühlig versucht er sich in die jeweiligen Situationen der Anrufenden hineinzuversetzen und Hilfestellung zu leisten, um der Seele wieder eine Spur Frieden zu geben. Man erhält Einblicke in die wichtige Arbeit der Telefonseelsorge, die auch bei denen, die dort arbeiten, oft wuchtige Einschnitte hinterlassen, je nachdem wie schwerwiegend die Probleme der Anrufenden sind. Der weinenden Frau konnte Dumont jedoch nur sehr wenige Silben entlocken, die zusammengereimt den Hinweis ergaben, dass sie nach Antibes fahren wird. Ohne weitere Anhaltspunkte setzt Dumont sich in den nächsten Zug und reist von Brüssel nach Antibes, nachdem er seine Chefin um eine psychologische Auszeit gebeten hatte, denn auch sein Leben ist verworren und einsam.
In Antibes möchte er die weinende Frau finden – doch wie?

Dumont streift durch Antibes' Straßen, Cafés, Strand und Umland, sucht nach traurigen Frauengesichtern und trifft auf Florence, eine Frau, die aber kein trauriges Gesicht aufweist. Sie sprechen sich an, lernen sich kennen, tasten sich durch Worte und gemeinsame Erlebnisse näher aneinander heran. Aber ist Florence wirklich die weinende Frau am Telefon?
In leiser, unaufdringlich geschriebener Sprache erleben wir die Annäherung zweier Fremder und die Entwicklung einer Liebe, die der Autor in leisen Tönen und Zwischennuancen erklingen läßt.
Die Liebe des Autors geht zudem auch in Landschaftsbeschreibungen auf, die in bildhafter Darstellung ein Südfrankreich zeichnen, das man beinahe riechen kann, wirft man den Blick auf weitläufige Blumenfelder bei Grasse und die kleinen Gassen der Parfümerien, das blaue Meer um Antibes und die bunten Häuser, die im Hintergrund die Côte d’Azur säumen.

Zu Beginn des Romans packt einen die Geschichte kurzfristig, die im Verlauf stellenweise aber etwas langatmig wird, bis man plötzlich einen Wendepunkt erreicht, der sehr aufrüttelnd in eine nicht erwartete Richtung abbiegt!
Man verfolgt die innere und äußere Reise Dumonts nach Antibes, das innere Einkehren der beiden Protagonisten und des Sich-wieder-öffnens anderen gegenüber, bis schmerzhafte Situationen Entscheidungen verlangen, die man nicht einfach so treffen kann. Es bleibt aber alles recht oberflächlich.

Das Cover hat mich sofort angesprochen, mit den großen Fensterns eines Caféhauses, an dem eine junge Frau allein an einem gedeckten Tisch sitzt und hinausschaut. Es spiegelt Gemütlichkeit wider in der aber auch das verlorene Gefühl der Einsamkeit zu finden ist, vor allem, da auf der Rückseite des Covers derselbe Tisch mit einem freien Stuhl ohne Person zu sehen ist.
Insgesamt mit nur etwas über 200 Seiten ein kurzer Roman, den man zwischendurch einmal liest, der aber durch seine überraschende Thematik etwas nachhallt. Schön, dass der Klappentext das Problem, dass sich im Laufe des Romans eröffnet, noch nicht verrät!

Bewertung vom 01.04.2025
Wie Risse in der Erde
Hall, Clare Leslie

Wie Risse in der Erde


ausgezeichnet

Beth und Gabriel
...
Beth und Gabriel.
Beth und Frank.
Frank, der Farmer, und Beth - und ihr mit 9 Jahren verstorbener Sohn Bobby.
Jimmy und Nina.
Beth und Gabriel, der Schriftsteller, der wieder in seine Heimat zurückkehrt und auf Beth trifft.
Gabriel und Leo, sein 10-jähriger Sohn.
Leo und Beth.
Beth und Leo’s toter Hund - der Hund, der Franks Schafe gerissen hat und erschossen werden musste.
Beth und Gabriel.
Früher und Jetzt.
Gabriel und Beth.
Gabriel und Louisa… früher.
… und später.
Und der Prozess.

Ich brauchte etwas Zeit, um in die Geschichte hineinzufinden. Auf den ersten Seiten waren mir die Zeitebenen Früher und 1968, 1969, der Prozess und wieder Früher und Jetzt zu sprunghaft, zusammen mit mehreren Protagonisten, die auftraten. Doch Weiterlesen lohnt sich absolut, denn es entwickelt sich eine ungeahnte, grandiose Geschichte, in die man plötzlich wie berauscht hineingezogen wird!
Beth, die hin- und hergerissen wird von ihren Gefühlen, in Liebe, Leid und Leidenschaft zwischen Frank und Gabriel – tief verschmerzlicht mit den Wunden durch ihren verstorbenen Sohn Bobby. Verletzlich geschüttelt durch Louisa, damals, als Beth die Liebe ihres Lebens erlebte. Erschüttert über die Tatsachen, die entstehen können, die blind machen, wutentbrannt, mißverständlich – und Risse in der Erde hinterlassen…
Dramatische Entwicklungen, die sensationell umgesetzt wurden beherbergt dieser herausragende Roman!

Ein sonnenbeschienener Tag in stiller Umgebung auf dem Land zeigt schon im Cover bedrohlich dunkle Wolken aufziehen.
Ein Liebesroman der schmerzlicher nicht sein könnte und Spannung/en in vielen Beziehungen aufbaut bis zum Schluß.
Erst auf der letzten Seite atme ich tief durch und schaue nochmal auf das vermeintlich Ruhe ausstrahlende wunderschöne Cover!

Bewertung vom 30.03.2025
Ganz aus Splittern
Lake, Danae

Ganz aus Splittern


ausgezeichnet

Trauriger Alltag oder modernes Aschenputtel?

Wohl eher Alltag … und Aschenputtel ist nur ein Märchen!
Oder?
Chrissy – Scherbenkind aus dem Problemviertel… bekommt eine einmalige Chance, aus ihrer Betonbunkerschule des Problemkiezes in das Elitegymnasium der Stadt zu wechseln, weil sie super Noten hat und die Schule eine „Studie“ zu diesem Austausch machen möchte – wie kommen Kinder aus der armen Gegend klar mit dem Leben der Reichen?
„Eine Umarmung aus Beton“, zitiert Chrissys' Leben in einem kurzen Satz.
Chrissy, die die Nase voll hat von ihrer drogenumnebelten Mutter und deren Lebensgefährte, der sich bei ihnen durchschnorrt und Chrissy zudem auch noch mehr als unsittlich anfasst, nimmt diese Chance des Schulwechsels nach intensiver Abwägung mit ihrem Lebensfreund T. an, ohne ihrer Mutter davon zu erzählen. Diese bekommt es jedoch heraus als Chrissy mit ihrem neuen Bonzen-Freund Alex den Schreibwettbewerb ihrer Schule zum Thema Feminismus gewinnt.
Na, da bricht aber Zuhause die Hölle los…

„Wie sollen wir neu anfangen, wenn wir mit der Vergangenheit nicht klarkommen?“ schreibt Danae Lake auf Chrissy’s und T.‘s Schultern.
Nicht nur der Schulwechsel kommt ans Licht, so vieles andere, im Geheimen Verborgene kommt auch bei anderen zum Vorschein…
Ist der Schulwechsel wirklich mit einer Austausch-Studie verbunden?

Chrissy erträgt viel, hat eine schlimme Kindheit und sucht sich ihren Weg. Sie verliebt sich in Alex, Sohn aus reichem Haus und verletzt T., ihren langjährigen Freund aus Kinderzeiten, der alles über sie weiß und sie immer beschützt hat. Chrissy versucht, ihre Narben verdeckt zu halten und erfährt Wahrheiten, die ihr Leben verändern.
Mit Chrissy wurde eine sympathische Protagonistin geschaffen, ein starkes Mädchen, das man gern durch ihre Geschichte begleitet, die Mut macht, die motivierend sein kann und durch die man sich nicht allein im Leben fühlt, obwohl Chrissy sehr schlimme Erfahrungen erlebt und diese verarbeiten muß.

Die sehr junge Autorin Danae Lake hat eine außergewöhnliche Begabung, die Geschichte fließen zu lassen und beeindruckt mit starker Sprache und Wortspielen.
GANZ AUS SPLITTERN ist für mich das Wortspiel, dass Jemand wieder GANZ gemacht wird, aber aus Splittern…
Das Cover ist für diesen Titel absolut perfekt designed worden. Es hat eine anziehende Wirkung, farbenfroh im Dunkel, Glassplitter mit Rosenblüten. Bezaubernd ist auch der Farbschnitt, der mich so entzückt, dass das Buch einen Hingucker-Platz in meinem Bücherregal bekommt!
GANZ tolle Autorin, toller Style, tolle Sprache in einer Geschichte, die nicht nur junges Publikum anziehen muß!